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Seit 1. September 2024 ist Dr. Andreas Trügler der wissenschaftliche Leiter der österreichischen Polarstation Sermilik auf der ostgrönländischen Insel Ammassalik. Wir haben Andreas Trügler nach seinen Zielen für die ersten Jahre der Polarforschungsstation gefragt.

 

Andreas Trügler, erster Stationsleiter der österreichischen Polarforschungssation „Sermilik“ (© Christoph Ruhsam)

APRI: Andreas, wie war dein Weg zum Stationsleiter der ersten österreichischen Polarforschungsstation?

Trügler: Es gab ein mehrstufiges Auswahlverfahren, bei dem ich in die engere Auswahl kam und zuletzt das Glück hatte, Erstgereihter zu werden. Ich wurde zu einem Bewerbungsgespräch geladen, wo ich meine Forschungsvisionen vor einem Gremium präsentieren konnte, und danach ging meine Bewerbung auch noch durch einige weitere Instanzen der Universität Graz.

Lage der österreichischen Polarforschungssation „Sermilik“

APRI: Laut deiner Website bist du im Bereich Theoretische Physik und KI verankert. Wie kratzt man die Kurve von KI und Quantencomputern zum Stationsleiter?

Trügler: Während und nach meinem Studium der Theoretischen Physik an der Universität Graz, wo ich mich auch habilitiert habe, war ich für Forschungsaufenthalte immer wieder im Ausland, z.B. in Italien, Spanien, Frankreich, Kanada oder Schweden. Als ich zurück nach Graz kam, habe ich die Leitung einer Forschungsabteilung im Know-Center der TU-Graz im Bereich „Künstliche Intelligenz“ übernommen. Die Schwerpunkte meiner Forschungstätigkeit waren sehr interdisziplinär, ich habe im Laufe der Jahre zum Beispiel mit WissenschaftlerInnen aus der Biologie, Chemie, Mathematik, Medizin oder auch den Geisteswissenschaften zusammengearbeitet. Auch während meiner Zeit in der Theoretischen Physik habe ich die Zusammenarbeit mit Experimentalphysikern sehr geschätzt. Diese breite Basis kommt mir bei der Stationsleitung jetzt sehr zugute, da die Forschungsstation natürlich WissenschaftlerInnen aller Disziplinen offensteht und ich speziell auch einen Schwerpunkt bei der interdisziplinären Zusammenarbeit setzen möchte. Aufgrund meiner Ausbildung bringe ich vor allem auch Kenntnisse bei numerischen Simulationen und Computermethoden mit. Diese Werkzeuge bieten sich auch oft als Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Wissensdisziplinen an, besonders wenn es in Richtung Künstlicher Intelligenz und der Nutzung unterschiedlicher Datenquellen geht. Ich hatte auch das Glück in der Vergangenheit mehrere Forschungsprojekte zu haben, wo wir KI-Methoden für Fragestellungen der Kryosphärenfoschung einsetzen konnten. Ich habe dabei KI-Methoden und Computersimulationen vor allem immer als Werkzeug eingesetzt, um die Physik hinter unseren Fragestellungen besser verstehen zu können. Wir haben numerische Methoden zum Beispiel auch für medizinische Problemstellungen oder kryptographische Anwendungen sowie Klima- und Erdbeobachtung verwendet. Letzteres basierend auf der KI-Analyse von Satellitendaten.

Ein Forschungsprojekt, das mir sehr am Herzen liegt, konnte ich vor zwei Jahren auch gemeinsam mit mit Jakob Abermann einwerben: Weg_RE, bei dem fast ein Jahrhundert nach Alfred Wegeners legendärer Grönlandexpedition an genau den gleichen Messstandorten unter ähnlichen atmosphärischen Bedingungen, allerdings unter fundamental geänderten physikalischen und klimatischen Randbedingungen, dieselben meteorologischen und glaziologischen Parameter beobachtet werden. Dabei verwenden wir neben etablierten „klassischen“ Methoden auch KI, um Auswertungen der Messdaten vorzunehmen, Datenquellen zu verknüpfen oder bestimmte Muster zu detektieren.

APRI: Was verbindet dich mit der Polarforschung bzw. spezifisch mit der Arktis, auch auf der emotionalen Ebene?

TrüglerIch bin zuerst vor allem durchs Bergsteigen in die Arktis gekommen, wo mich diese unglaubliche Landschaft und unberührte Wildnis sofort in den Bann gezogen hat.  Angefangen hat es bei mir vermutlich mit dem Interesse für die alten Expeditionsberichte. Speziell Christoph Ransmayrs „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ oder Apsley Cherry-Garrard’s „The Worst Journey in the World“  haben mich besonders beeindruckt, trotz der etwas abschreckenden Titel. Daraus entstand eine erste Reise nach Spitzbergen zum Bergsteigen und für Skitouren. Ich bin auch seit Jahren ehrenamtlich bei der Bergrettung tätig und das hat mein Verhältnis zu Bergen und Natur wohl auch geprägt. Ich war Eisklettern im Norden Norwegens und dann, besonders prägend, auch für eine Winterexpedition alleine in Ostgrönland in der ich auch eine Skitour zum Sermilikfjord unternahm. Der Himmel voller Polarlichter und im Fjord zogen die Eisberge vorbei: Das wurde zum schönsten Ort, den ich jemals gesehen hatte. Es ist schon eine Fügung des Lebens, dass die Sermilik-Station wie ein „Büro“ ganz in der Nähe liegt. Seitdem kenne ich auch Leute aus Tasiilaq, was eine große Hilfe für die Stationsarbeit ist.

APRI: Kannst du uns etwas von deiner Vision für die Station erzählen?

TrüglerBeworben habe ich mich mit einem mehrteiligen Programm. Der wissenschaftliche Teil baut vor allem auf Interdisziplinarität auf, wo ich mich auch mit meinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechend einbringen möchte. Wichtig ist für mich vor allem die Möglichkeit, Beobachtungsdaten vor Ort zu bekommen und diese dann z.B. mit Satellitendaten oder anderen Stationsdaten zu verknüpfen. Glaziologische und meteorologische Fragestellungen sind ein bestehender Schwerpunkt der Polar-Forschungsgruppe an der Uni Graz, hier möchte ich vor allem auch die Langzeitbeobachtungen in Grönland fortführen. Als erste österreichische Forschungsstation in der Arktis ist für mich aber auch der weitere Ausbau und die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen sehr wichtig, hier haben wir auch schon Anknüpfungspunkte in der Biologie, der Chemie und der Anthropologie. Die Inkludierung der Geisteswissenschaften möchte ich hier auch besonders erwähnen, es gibt auch viele Fragestellungen in der Arktis, die zum Beispiel die Sozialwissenschaften betreffen. Ein wesentlicher Teil für mich ist auch der Aufbau strategischer Forschungspartnerschaften. Schon bei der Konzeption der Station wurde festgelegt, dass ein neuer Forschungsansatz gelebt werden soll: Nicht nur hinfahren, messen und wieder wegfahren, sondern Forschung betreiben, die auch einen Mehrwert für die lokale Bevölkerung hat. Ich werde mich hier regelmäßig mit politischen Vertretern vor Ort zusammensetzen und möchte eine Liste für lokal relevante Forschungsprojekte erarbeiten. Über unseren Kontakt zum Jugendhaus Igdlo in Tasiilaq möchte ich die Jugendlichen einbinden und sie für die Station interessieren. Daraus ergeben sich hoffentlich Citizen-Science-Projekte, im Idealfall mit Anstellungsmöglichkeiten. Wir möchten auch die Fischer einbinden, um zum Beispiel bei Messungen der Meereseisdicke zusammenzuarbeiten. Forschung entsteht dadurch aus gemeinsamen Interessen in der Region und nicht von außen.

APRI: Wo soll die Station in zehn Jahren sein?

Trügler: Die Vernetzung mit internationalen Forschungsinstitutionen und der lokalen grönländischen Bevölkerung soll bis dahin selbstverständlich und etabliert sein. Ich möchte darauf hinarbeiten, dass die Station neben einem wissenschaftlichen auch einen sozialen und vielleicht sogar einen sozioökonomischen Mehrwert für die Region bietet. Neben einer entsprechenden Forschungsauslastung und Integration in wissenschaftliche Messnetzwerke sollte die Station in 10 Jahren natürlich auch einen entsprechenden wissenschaftlichen Fußabdruck hinterlassen – als bisher einzige österreichische Forschungsstation in der Arktis einerseits in der österreichischen Forschungslandschaft, aber natürlich auch darüber hinaus in einem internationalen Umfeld. Carl Weyprecht, der Kommandant zur See der österreichisch-ungarischen Expedition, hatte schon die Vision eines internationalen Forschungsnetzwerks in den Polarregionen und initiierte 1882 das erste internationale Polarjahr. Ich wünsche mir, dass die Sermilik-Station in Zukunft einen wesentlichen Teil zu dieser österreichischen Vision beitragen kann. Dazu gehört für mich auch, das entsprechende Vertrauen und die Unterstützung der Bevölkerung vor Ort zu gewinnen. Auch hier gibt es viele Anknüpfungspunkte auf der wissenschaftlichen Seite. Die Nachwirkungen des Kolonialismus und der Christianisierung der grönländischen Bevölkerungen haben bis heute sichtbare Spuren hinterlassen und hier könnte man zum Beispiel wieder in Zusammenarbeit mit den Geisteswissenschaften einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten. Ich hoffe auch, dass die Forschungstätigkeit an der Sermilik-Station dem Verschwinden der ostgrönländischen Kultur ein wenig Einhalt gebieten kann – das interdisziplinäre Projekt „Qimmeq“, eine Zusammenarbeit von Fotografen, Forschenden und der grönländischen Bevölkerung, um das Verschwinden der grönländischen Schlittenhunde aufzuhalten, ist dabei ein Paradebeispiel für mich.

Sermilik, September 2023 (© Robert Galovic)
 
 

APRI: Wie steht es um die Kollaboration mit der dänischen Station?

TrüglerDie aus den 1970er Jahren stammende Station der Dänen wird weiterhin von Dänen betrieben und ist unabhängig von der österreichischen. Es gibt eine sehr gute Zusammenarbeit und wir besprechen regelmäßig wichtige Themen von beidseitigem Interesse. Ich könnte mir auch gemeinsame Lehrveranstaltungen zur Feldforschung in der Arktis vorstellen, wo wir auch wieder Synergien vor Ort nützen könnten. Wir teilen auch wissenschaftliches Equipment an der Station, um ökonomisch arbeiten zu können.

APRI: Kannst du noch einige naturwissenschaftliche Forschungsschwerpunkte nennen?

TrüglerDie Lage der Station ist strategisch sehr gut gewählt, im Umfeld ist alles vorhanden: Der Mittivakkat-Berggletscher in unmittelbarer Nähe zur Station, Felsgestein für geologische Untersuchungen, die arktische Fauna und Flora für biologische Fragestellungen, eine noch weitgehend unerforschte Eisbärenpopulation an der grönländischen Ostküste sowie das Inlandeis am gegenüberliegenden Fjordufer mit seinen großen, kalbenden Gletschern und der offene Atlantik zur Forschung im Bereich Meeresbiologie. Die Eisberge und die gewaltigen Gletscher im Sermilik-Fjord bringen viel Frischwasser ins Meer und beeinflussen entsprechend das maritime Ökosystem. Die glazialen Seen und Schmelzvorgänge liefern wertvolle Rückschlüsse über entsprechende Rückkopplungsmechanismen. Es ist praktisch alles in Fußreichweite. Wir sind auch dabei, die vorhandenen historischen Daten aus der Region (das sind hauptsächlich glaziologische und meteorologische Aufzeichnungen) entsprechend aufzuarbeiten und öffentlich zugänglich zu machen.

 

APRI: Wie ist die Energieversorgung der Station konzipiert und wie wichtig ist dabei Nachhaltigkeit?

TrüglerNachhaltigkeit spielt eine sehr große Rolle bei uns, und wir haben uns zum Ziel gesetzt, so viel wie möglich auch auf nachhaltige Energieressourcen zurückzugreifen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Voraussetzungen in der Arktis auch deutlich anders als für ein Haus in Österreich sind. Prinzipiell ist die Station so konstruiert, dass sie das ganze Jahr über verwendet werden kann. In den ersten Jahren werden wir uns jedoch vor allem auf den Sommerbetrieb konzentrieren. Im polaren Winter gibt es kein Sonnenlicht an der Station und die Versorgung durch Wasserkraft ist aufgrund der tiefen Temperaturen auch sehr schwierig, aber wir untersuchen hier gerade entsprechende Möglichkeiten für den Sommer. Auch PV-Anlagen werden gerade geplant, die Starkwinde im Winter (Piteraqs) sind hierbei aber auch eine technische Herausforderung. Dieselgeneratoren sollen aus Sicherheitsgründen und als Backup bestehen bleiben. Im Winter kann der 1. Stock der Station abgeriegelt werden und bietet dann im unteren Geschoß Platz für eine reduzierte Belegschaft. Im Sommer gibt es Platz für 5 Personen in der dänischen Station und 25 Personen in der österreichischen.

Seen im Vorfeld des Mittivakkat Gletschers, Sommer 2024 (© Karl Steinegger)
 

APRI: Zuletzt wäre es noch interessant, über deine Präsenz an der Station zu erfahren und wie deine Familie damit zurechtkommt.

Trügler: Meine Präsenz vor Ort wird sich sehr nach den entsprechenden Forschungsprojekten richten. Ich möchte auch den wissenschaftlichen Nachwuchs möglichst früh einbinden und arbeite gerade am Aufbau einer kleinen Gruppe an Master- und PhD-Studierenden, die mich dann auch vor Ort unterstützen können bzw. wo es dann auch an mir liegt, wie gut ich alles von Österreich aus planen, vorbereiten und koordinieren kann. Prinzipiell möchten wir im Idealfall auch Personen vor Ort einstellen, die uns bei der Wartung der Station und der aufgestellten Messgeräte unterstützen können. Ich habe eine kleine Tochter und möchte meine Familie natürlich nicht ein halbes Jahr lang alleine in Österreich zurücklassen. Deshalb ist es mir auch sehr wichtig, ein entsprechendes Team zu haben, wo wir uns unterstützen und vor Ort auch abwechseln können. Ich habe auch eine Lehrverpflichtung an der Universität Graz, ein völliger Umzug nach Grönland ist also noch nicht geplant …

APRI: Andreas, wir danken dir für das interessante Gespräch, das wir im Rahmen der 29. Internationalen Polartagung in Rauris mit dir führen durften.