Seit der Genehmigung von WEG_Re (Centennial Climate Drivers of Glacier Changes in Greenland) durch den Wissenschaftsfond FWF im November 2021 arbeitet das APRI Team der Universität Graz zusammen mit dem Know Center Graz an diesem sehr außergewöhnlichen Forschungsprojekt in Grönland. Wir fassen hier den Weg bis zur Genehmigung, den gelernten Lektionen, den Aufwand der Implementierung und die Rückschläge, aber auch die Motivation, die dahinter steht zusammen. Im zweiten Teil berichten wir über die ersten Ergebnisse.
Das WEG_Re Projektteam. (© P. Wally)
Hintergrund zum Projekt
Den Anfang nahm das Projekt bei meiner Vorstellungsvorlesung in Graz im Mai 2019. Ich habe damals versucht meine bisherige Forschung darzustellen und einen Ausblick zu geben, in welche Richtung es weitergehen könnte. Als einen der abschließenden Gedanken habe ich kurz erzählt, dass ich neulich über die Expeditionsberichte von Wegeners letzter Grönlandexpedition gestolpert bin, von denen eine volle Ausgabe an der Bibliothek der Universität Graz liegt (über die historische Expedition siehe hier). Ich habe erwähnt, dass doch für jemanden mit Grazbezug, der viel in Grönland arbeitet eine natürliche Verknüpfung vorhanden sein muss, und dass diese vermutlich über die außergewöhnlich warmen Bedingungen des frühen 20. Jahrhunderts entstehen könnte. Ich war damals schon peripher mit Andreas Trügler bekannt; er war leider an dem Abend verhindert, hat aber über Umwege von dem Kommentar gehört und am nächsten Tag habe ich eines von den motivierenden Mails in meiner Inbox gehabt, das den Inhalt hatte: Jakob, das ist spannend, ich hab‘ eine Leidenschaft für alte, wilde Expeditionen – lass uns diskutieren, ob wir da etwas gemeinsam machen können.
Somit war der Projektrahmen bestimmt mit den Pfeilern: Begeisterung für die Arktis; Warmphase des frühen 20. Jahrhunderts; aufwändige, hochaufgelöste glaziologische und meteorologische Messungen; und auch der Idee, diese Daten mit modernen Methoden der künstlichen Intelligenz (englisch: artificial intelligence, AI) zu verknüpfen. Einerseits um ein neues Werkzeug für die Untersuchung der nicht-linearen glaziologischen Vorgänge zu haben und andererseits auch um die einmalige Gelegenheit von hochaufgelösten historischen und modernen KI-Trainingsdaten vom selben Ort auswerten zu können.
Einige Wochen später haben wir einen ersten groben Entwurf gehabt und nach vielen Iterationen einen einreichfähigen Antrag. Alle, die diesen Prozess schon einmal durchgemacht haben kennen die Phase des Bangens und Hoffens. Die Ablehnung und das Gefühl, wieder von vorne zu beginnen war demnach eine starke Ernüchterung. Wir haben das aber dann recht schnell übertaucht und wurden immer wieder von dem Reality-Check ermutigt, dass wir die Idee und die zugrundeliegenden Daten, sowie das gute Team als eine denkbar günstige Ausgangsbasis empfunden haben und so haben wir es auf den zweiten Anlauf nach Verbesserungen auf Basis der Kommentare der Gutachter*innen geschafft.
Planung der Feldarbeit und Vorarbeiten
Nach der Zusage folgten intensive Monate der Vorbereitung, das Recruiting der beiden Projektmitarbeiter:innen, die Auswahl und Ankauf der Ausrüstung, Packen, Verschiffen und vieles mehr. Tatsächlich floss der überwiegende Anteil meiner Arbeitszeit des ersten Jahres in einfaches Planen und in die Logistik, oft für Außenstehende vielleicht überraschend fern von der Wissenschaft, und manchmal habe ich mich gefragt, warum ich nicht etwas leichter greifbares untersuche. Die Corona Spät- oder Nachwehen haben es nicht leichter gemacht: Lieferengpässe machten die von unserem Techniker Benjamin Schrei mit viel Erfindergeist speziell für unsere Zwecke entwickelten Ablationssensoren zu einer Punktlandung, an die wir zeitweise nicht mehr glaubten. Auch die Akquise und das Testen der Messinstrumente war sehr sportlich und haben deshalb funktioniert, weil wir optimale Unterstützung unsers Administrationsteams haben. Anfang Mai 2022 waren dann die Paletten gepackt, die Spedition beauftragt und es blieb ein mulmiges Gefühl, ob so manche essenziellen Komponenten wohl nicht mitgekommen sind.
Unsere Expeditionsausrüstung a) in Graz, b) in Uummannaq und c) beim Verschiffen. In Summe hatten wir ca. eine Tonne an Material. (© P. Wally)
Eine besonders gute Erinnerung in dieser ersten Phase war ein kurzer Besuch im Archiv des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven, in dem einige der originalen Dokumente aufbewahrt werden. Wir wurden sehr sachkundig betreut und konnten mit noch mehr Respekt handgeschriebene Notizen von Expeditionsmitgliedern in der Hand halten und lernten viel über die Hintergründe der historischen Expedition, überaus wichtig für ein gutes Verständnis der Ausgangsbedingungen.
Um für die Gefahren und Anforderungen im Eis bestmöglich vorbereitet zu sein, führten wir vor der ersten Expedition auch eine Seiltechnikübung im Klettergarten durch, bei dem wir natürlich mit unserem Teammitglied Andreas (der nicht nur Wissenschafter, sondern auch stellvertretender Landesleiter der steirischen Bergrettung ist) einen sehr kundigen Instrukteur hatten.
Feldarbeit
Zwei spannende und intensive Feldarbeiten folgten seither. Im Sommer 2022 hatten wir unsere erste intensive Mission, in der wir endlich die Gegend, die wir bisher nur von GoogleEarth und alten Fotos gekannt hatten, in der Realität kennenlernen durften. Nach einer idyllischen nordischen Mittsommernachtsfeier im Herzen Kopenhagens haben wir uns graduell nach Norden bewegt und die Reise nach Uummannaq verlief ohne nennenswerte Verspätungen. Ein paar Tage logistisches Finetuning auf der pittoresken Insel folgten und wir waren durchwegs begleitet von enorm unterstützenden Leuten vor Ort. Einem freundlichen Pensionisten kam zu Ohren, dass die meisten von uns noch nie Seehasenkaviar probiert hatten – und schon wurde uns ein Kilogramm geliefert, das wir mit Freuden verspeisten, bevor wir für ein paar Wochen auf Trekkingessen und großzügig kalkulierten Parmesan angewiesen waren.
Die Anfahrt zu unserem Basislager war dann besonders eindrucksvoll: vorbei an steilen Granitwänden, dem Dorf am Ende der Welt – Ukkusissat – Gletschern, die bis vor wenigen Jahren noch das Meer erreicht haben und schließlich der aufgelassenen Mine Maarmorilik. Mit unserem fast eine Tonne schweren Material waren wir auf ein Transportboot angewiesen, das der zwar schmächtig erscheinende aber unwahrscheinlich starke grönländische Fischer Siimmi stellte – und jede noch so schwere Kiste mit einem seiner wenigen englischen Adjektive ‚easy‘ quittierte.
Das Untersuchungsgebiet in Grönland. a) Überblick über Grönland und den Schnee- und Firnmesspositionen von Wegeners Expedition; b) der Transekt zwischen der Küste und Eismitte (EM) einschließlich der Firndichte-Standorte von späteren Expeditionen; c) die Region in Küstennähe d) der Qaamarujup Sermia mit Gletscherrändern zu verschiedenen Zeitpunkten (farbige Linien), einem Längsprofil (schwarze Linie) und den Wetterstationen Fjordstation (FS) und Weststation (WS) sowie der ungefähren Lage der Ablationspegel (rote Punkte). (© Abermann et al. 2023)
Die folgenden 10 Tage standen im Zeichen der Installation unseres ambitionierten Feldplanes, wobei bei der Dimension dieses Projekts nicht alles so funktionierte wie erhofft. Am Ende hatten wir aber einen guten Überblick über das Untersuchungsgebiet und einige interessante Daten gesammelt und waren beeindruckt von den Leistungen Wegeners und seinem Team. Ab und zu stolperten wir über das eine oder andere Artefakt unserer großen Vorbilder – von Schaufel und Zaunresten bis hin zu Zündkerzen war alles dabei. Der für das Projekt tatsächlich wichtige Helikoptercharter konnte leider nie durchgeführt werden – Air Greenland ist da ihrem Ruf der Unberechenbarkeit gerecht geworden (schmunzelnd wird sie oft in Grönland ‚Immaqa-Airline‘ genannt, was so viel wie ‚Vielleicht-Airline‘ bedeutet). Nach gefühlten zig-Satellitentelefongesprächen hatten sie uns förmlich im Fjord stehen gelassen – glücklicherweise nicht so Siimmi und das Bootsunternehmen. Müde und ausgelaugt gingen wir ein paar Wochen später wieder unsere Wege und es begann die Spannung auf die Zeit, wenn wir mit den Daten arbeiten. Die durch die fehlende Luftunterstützung nicht aufgestellte oberste meteorologische Station ließ uns nicht los, erfreulicherweise konnten wir dank der Unterstützung unserer guten dänischen Partner das Problem doch noch lösen und Ende August stand auch die.
Leider mussten wir bald erkennen, dass die Daten nur zum Teil wie gewünscht aufgenommen werden und es wurde im Verlauf des Winters klar, dass wir, um unsere Fragen zu beantworten, eine kurze, aber wichtige Frühjahrstour brauchen. Es folgte wieder eine intensive Planungsphase, die aber diesmal deutlich simpler ausfiel, was der kürzeren Feldphase und dem kleineren Team geschuldet war. Zu zweit verlebten Andreas und ich noch eine spannende Aprilwoche, die uns wiederum viel Improvisationswillen abverlangt hatte. An sich war alles schon durchgeplant mit Skidoos übers Meereis. Aber am Weg zum Flughafen hat eine Freundin, die in Uummannaq immer wieder arbeitet, alarmierende Posts der lokalen Polizei geschickt und uns gefragt, ob wir schon wüssten, dass das Meereis nicht mehr befahrbar sei wegen eines frühen Warmlufteinbruchs. Tatsächlich haben wir kurz erwogen, ob wir überhaupt fliegen sollten, es gab dann eine Reihe von Wendungen und am Ende blieb dann die Möglichkeit eines Helikoptercharters. Man kann sich vorstellen, dass ein limitiertes Projektbudget da auch immer vor große Herausforderungen gestellt wird. Wir konnten bisher in verschiedenen Zusammenhängen schon auf großzügige Zuwendungen einerseits von der Universität Graz und vom Know Center zählen, die beide unser Projekt durch interne Mittel unterstützten. Aus logistischen Gründen blieb aber dann nur ein Fenster von 24 Stunden, das gut genützt werden wollte. Die Bedingungen waren an sich gut, wenngleich auch sehr herausfordernd, speziell im oberen Teil des Monitoringnetzwerks. Wir konnten beide Wetterstationen besuchen und ihnen Leben einhauchen, was uns tatsächlich sehr erleichtert hat. Auch haben wir einige der installierten Sensoren warten bzw. austauschen können. Sehr müde nach nur wenigen Stunden Schlaf und vielen zurückgelegten Höhenmetern hasteten wir zurück zum Depot, um beim ersten Schlagen der Helikopterblätter die Sachen zusammenzupacken. Wieder eine Punktlandung nach einer herausfordernden Aktion – insofern war die herzliche Aufnahme durch unsere Freundin in Uummannaq und das vorbereitete Rentierragout bei Rotwein ein fast unwirklicher Abschluss.
Filmische Begleitung
Die Zusammenarbeit mit unserem Filmteam im Sommer 2022 gestaltete sich höchst erfreulich und basiert auf einer langen Freundschaft mit Stefan Fauland, dem Regisseur. Stefan schaffte es bei jedem Interview und jeder Tonaufnahme eine so professionelle aber gleichzeitig angenehme Atmosphäre zu schaffen, dass wir den Aufnahmeprozess völlig vergaßen und sehr ungezwungen arbeiten und diskutieren konnten. Unser Kameramann Patrick Wally hatte einen sehr scharfen Blick für die Umgebung und entdeckte meist als erster die historischen Überreste von Wegeners Expedition oder auch die Schneehasen, Polarfüchse und den Finnwal, der uns dann fast täglich im Fjord besuchte. Wenn wir manchmal etwas länger am Gletscher waren und erst spät abends ins Camp zurückkamen, wartete bereits das vom Filmteam vorbereitete Abendessen und kochendes Wasser auf uns – hätten wir die Möglichkeit dazu, würden wir Stefan und Patrick bei jeder Expedition mitnehmen – und das sagen wohl nicht alle Wissenschafter:innen über ihre Medienbegleitung.
Qaamarujupgletscher aufgenommen von der Wegenerexpedition 1930 (a) und von uns im Sommer 2022 (b).
Eine leicht modifizierte Version dieses Artikels erscheint im GeoGraz, der Zeitschrift des Instituts für Geographie und Raumforschung
Medieninformation
Verfasst von Jakob Abermann.
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Fotos wenn nicht anders angegeben: © P. Wally & S. Fauland
Über den wissenschaftlichen Autor
Jakob Abermann, Universität Graz, Österreich