Martin Orels Ururgroßvater ist Eduard Orel, der mit Julius Payer den nördlichsten Punkt des Franz-Josef-Land-Archipels erreicht hat. Durch seine Teilnahme an der legendären „Payer-Weyprecht-Expedition“ ging er in die Entdeckungsgeschichte der Arktis ein. Martin studiert "Angewandte Physische Geographie und Gebirgsforschung" an der Universität Graz und konnte im Sommer 2024 – also genau im Jubiläumsjahr „150 Jahre Entdeckung von Franz-Josef-Land“ – an einer Exkursion in die Arktis teilnehmen, die in der ersten österreichischen Polarforschungsstation Sermilik ihr Basislager hatte.
Hintergründe
Die Entdeckung von Franz-Josef-Land durch Julius Payer und Carl Weyprecht 1872 – 1874 ist zur Keimzelle der österreichischen Polarforschung geworden. Nach der Rückkehr wurde Weyprechts Initiative des „Ersten Internationalen Polarjahres“ 1882/83 zum Auslöser international koordinierter Polarforschung.
Martin hat den Bachelor für physische Geografie an der Universität Klagenfurt erworben. In Graz studiert er nun im Masterprogramm „Angewandte Physische Geographie und Gebirgsforschung“ mit Fokus auf alpine und polare Räume. Das Gebiet umfasst auch Polarforschung, was ein Forschungsschwerpunkt am Institut für Geographie und Raumforschung ist. Somit ist Martin gewissermaßen auf den Spuren seines Ururgroßvaters unterwegs, der am 12. April 1874 gemeinsam mit Julius Payer am Kap Fligely, dem nördlichsten Punkt des Franz-Josef-Land-Archipels stand.

Die Männer der Schlittenexpedition erreichen am 12. April 1874 Kap Figley, im Hintergrund Kap Wien. (© Julius Payer)
Martin kennt durch familiäre Erzählungen die Erlebnisse seines berühmten Vorfahren. Das Rückzugstagebuch, das Eduard Orel nach dem Verlassen der „Tegetthoff“ vom 20. Mai 1874 bis zur Ankunft in Trondheim am 10. September 1874 führte, befand sich im Besitz der Familie Ladenbauer-Orel [Mazzoli, Berger 2010] bevor man die 36 A4-großen Manuskriptseiten dem Heeresgeschichtlichen Museum Wien übergab. Nach der Rückkehr von der dreijährigen Expedition wurde Ururgroßvater Eduard für seine Leistungen von Kaiser Franz Josef in den Ritterstand erhoben. Die Urkunden dazu sind im Besitz der Familie.

Ritterernennungsurkunde. (© Familie Orel)
Martin zeigt Begeisterung für das Abenteuer von Ururgroßvater Eduard. Trotz des geringen Einkommens hatte dieser sich für 3 Jahre Entbehrungen entschieden, ohne jegliche Kommunikation mit der Heimat haben zu können, verbunden mit der Gefahr, nicht zurückzukommen. Auch bei Martin liegt der Reiz seiner Reisen auf dem Unbekannten, wie „Wo schlafe ich morgen?“, und darauf andere Kulturen zu erleben. Wie es anderen Völkern geht, ist für ihn horizonterweiternd und für seine persönliche Entwicklung sehr wichtig. Natur könne unvorstellbar schön sein und sei oft schwer in Worte zu fassen, meint er. Besonders unberührte Natur und Wanderungen über Inseln sind für ihn sehr berührend. Sich selbst auf den Weg zu machen und die Natur zu erkunden, ist ganz wichtig für ihn. Dabei hat er keine Angst vor Tieren oder Insekten. Martin sieht jedoch in seiner Bewerbung für die Expedition an die Sermilikstation keinen Einfluss von Eduard Orels Taten, findet die Parallelen aber interessant.
An der Station
Da die österreichische Station 2023 im Rahmen der Voreröffnung voerst in einen Teilbetrieb genommen wurde, mussten die Personen in der dänischen Station schlafen.

Studierende an der Sermilik Station 2024. (© K. Steinegger)
Der Schwerpunkt von Martins Studium deckt sich mit den Forschungsthemen auf der Sermilik-Station: Gletschermonitoring zur Erfassung von Gletschermassenbilanzen wie Abschmelzraten und Abflussmessungen samt den dafür wichtigen meteorologischen Daten. Martin ist fasziniert von der wilden grönländischen Natur, die gerade in den Polarregionen durch die Auswirkungen des Klimawandels grossen Veränderungen unterworfen ist. Die Gletscheränderungen wurden selbst während des kurzen Aufenthaltes auf der Station sichtbar. Der Mittivakkat Gletscher in der Nähe der Station wird seit 1933 beobachtet und kann mit der längsten kontinuierlichen Messreihe in Grönland aufwarten, die die massiven Veränderungen der letzten Jahrzehnte dokumentiert.

Mittivakkat Gletscher. (© K. Steinegger)
Mit Ablationsstangen lernte Martin die Abschmelzraten zu erfassen: Die Metallstangen werden in das Eis gebohrt und regelmäßig abgelesen. Aus den Höhenänderungen während des Aufenthaltes an der Station in der Größenordnung einiger zehn Zentimeter ergibt sich quantitativ, wieviel der Gletscher abgeschmolzen ist. Besonders wichtig sind Messungen über große Zeiträume, um den Klimawandel längerfristig zu erfassen, was auch durch solche Lehrexpeditionen möglich wird.
Eindrücke aus Tasiilaq
Die Gruppe der Studierenden verbringt zur Akklimatisierung auch einige Tage in Tasiilaq, dem regionalen Zentrum zusammen mit einigen weiteren Dörfern für etwa 2500 Menschen. Sie machten Bekanntschaft mit der lokalen Bevölkerung und bekamen Einblick in deren Lebensweise.
Ausblick
Nach seinen Erfahrungen auf der Station hat Martin vor, sich eingehender mit Ururgroßvater Eduard und seinen Forschungen während der Franz-Josef-Land-Expedition zu beschäftigen. Es gibt ihm ein gutes Gefühl, gewissermaßen in Eduards Fußstapfen zu forschen. Er hat einige aus dieser Zeit erhaltene Unterlagen aus der Familie an das Geographieinstitut gegeben, darunter auch eine Schreibmaschinenabschrift des handschriftlichen Originals von Eduard Orels Rückzugstagebuch, das keine Fotos oder Grafiken enthält. Ob Martin langfristig in die Polarforschung einsteigen wird, ist vorerst noch nicht absehbar. Nun steht für ihn der Abschluss der Masterarbeit im Vordergrund. Danach würde er gerne nach Sermilik zurückkehren, um neue Forschungsaufgaben zu verfolgen. Mit dem Studium für Angewandte Physische Geographie und Gebirgsforschung sieht er sich aber auch in Österreich gut gerüstet, um im Bereich Hochwasserschutz, Wildbachverbauung und allem, was mit Natur und Naturschutz zu tun hat, einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten zu können.
Medieninformation
Verfasst von Christoph Ruhsam nach einem Interview mit Martin Orel.
Satz und Layout durch das APRI-Media Team.
Kontakt: Nützen Sie unser Kontaktformular.
Fotos: © wie in den Bildunterschriften angegeben.
Über den Autor
Christoph Ruhsam ist Medienverantwortlicher des Österreichischen Polarforschungsinstituts. Neben seiner Tätigkeit am APRI ist er Autor und Fotograf mit einem besonderen Fokus auf die Arktis und die Kryosphäre und Herausgeber des Fotobuchs Frozen Latitudes.
Literatur
E. Mazzoli, F. Berger: Eduard Ritter von Orel und die österreichisch-ungarische Nordpolarexpedition mit seinem Rückzugstagebuch von 1874, Luglio Editore, Triest 2010
Julius Payer: Nordpol–Expedition in den Jahren 1872 – 1874, Alfred Hölder, k.k. Hof- und Universitäts-Buchhändler, Wien 1876















