Beim 17. Polar Talk, der am 9. April 2025 im Naturhistorischen Museum Wien stattfand, stand die Perspektive der nächsten Generation von Polarforschenden im Zentrum: Sieben Nachwuchswissenschaftler*innen gaben unter dem Titel 'Young Perspectives on the Polar World' Einblicke in ihre Forschung, ihre Motivation und ihre Sicht auf die Zukunft der Polarforschung. Durch den unterhaltsamen Abend moderierte Philip Krogull, Master Student an der Universität Graz.
Kaum eine Region der Erde ist so stark vom Klimawandel betroffen wie die Arktis. Die Region erwärmt sich derzeit etwa viermal schneller als der globale Durchschnitt – ein Phänomen, das als „Arktische Verstärkung“ bezeichnet wird. Die Folgen dieses rapiden Wandels sind nicht nur in der Arktis selbst, sondern weltweit spürbar. Die zur Arktis forschenden vortragenden Nachwuchswissenschaftler*innen waren Florina Schalamon, Carolin Hirt, Victoria Martin, Tobias Monthaler, Marie Schroeder und Jonathan Fipper. Sie sind Teil von APECS Austria und gewährten dem Publikum einen faszinierenden Einblick in die Vielfalt der Polarforschung – von Gletscherveränderungen über Mikrobiologie im Permafrost bis hin zu politikwissenschaftlichen Perspektiven auf die Arktis.
Forschung der Nachwuchswissenschaftler*innen
Den Auftakt machte Florina Schalamon, PhD-Studentin an der Universität Graz, die zu Klima- und Gletscheränderungen in Grönland forscht. Im Rahmen ihres PhD-Studiums analysiert sie als Teil des Weg_RE Projekts aktuell erhobene Messdaten aus Westgrönland und vergleicht diese mit historischen Aufzeichnungen, die eine Expedition mit Alfred Wegener um 1930/31 an derselben Stelle erhoben hatte. Der Vergleich dieser Daten soll helfen, klimatische Veränderungen und ihr Zusammenspiel mit Gletscherveränderungen besser zu verstehen. Eindrucksvolle Bilder von Feldversuchen und grafische Darstellungen der Gletscherentwicklung verdeutlichten dem Publikum die dramatischen Veränderungen in der Arktis.
Auch Marie Schroeder (Universität Innsbruck) und Jonathan Fipper (Universität Graz) widmen sich dem arktischen Eis, jedoch aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Während Marie vertikale Eisklippen in Nordwestgrönland untersucht, beschäftigt sich Jonathan mit der Flade Isblink Eiskappe in Nordostgrönland. Trotz thematischer Nähe zeigten sich große Unterschiede in den Messmethoden und Forschungsansätzen: Marie versucht, die Energiebilanz der Eisklippe mit lokalen Messungen zu verstehen, die entscheidend ist für ihre Entstehung und potenzielle Veränderungen des Eisrandes. Jonathan hingegen hat mit Drohnen vertikale Lufttemperaturprofile an der Flade Isblink Eiskappe gemessen und untersucht, wie diese mit der Schmelze des Eises im Zusammenhang stehen. In beiden Darstellungen wurde deutlich, wie entscheidend das Verständnis der Prozesse von Gletschern für das globale Klimasystem und den Meeresspiegelanstieg ist.
Einen ganz anderen Bereich beleuchtet Victoria Martin, PhD-Studentin an der Universität Wien. Sie forscht an den Permafrostböden der kanadischen Arktis, in denen riesige Mengen organischen Kohlenstoffs und Stickstoffs gespeichert sind. Beim Auftauen dieser Böden kommt es durch mikrobielle Aktivität zur Freisetzung von Treibhausgasen – ein Vorgang, der die globale Erwärmung weiter verstärken kann und die Arktis zu einem entscheidenden Element im Klimawandel macht. Victoria schilderte die Intensität arktischer Feldarbeit und die Komplexität der mikrobiellen Prozesse und gab einen spannenden Einblick in die Welt unter der Oberfläche der Tundra.
Carolin Hirt wiederum verfolgt einen politikwissenschaftlichen Zugang zur Arktis. In ihrem Vortrag stellte sie das Konzept des „digitalen Zwillings“ vor – ein virtuelles Abbild der realen Welt, das Entscheidungsgrundlagen für Politik und Wirtschaft liefern kann. In der Arktis liegt der Fokus dabei etwa auf Ressourcenerschließung und neuen Schifffahrtsrouten, deren strategische Bedeutung im Zuge des Klimawandels stetig zunimmt.
Tobias Monthaler schloss den Reigen der Beiträge mit einem Erfahrungsbericht über eine universitäre Grönland-Exkursion ab. Er konnte im Sommer 2022 an einer studentischen Erkursion zur neuen österreichischen Polarforschungsstation Sermilik in Ostgrönland teilnehmen. Er stellte die Wirkung solcher Exkursionen in den Vordergrund: Die arktische Landschaft hautnah zu erleben, Eisbären zu sehen oder einen Sturm zu durchstehen, hinterlässt bleibenden Eindruck und kann bei Studierenden oft nachhaltiges Interesse an der Polarforschung wecken.
Motivation der Jungwissenschaftler*innen
Nach den Präsentationen der wissenschaftlichen Arbeiten folgte ein interaktiver Teil mit persönlichen Einblicken. Eine Gemeinsamkeit der Motivation der Vortragenden war eine frühe Faszination für Schnee, Eis und unberührte Natur. Ob durch Bergsport oder Wintererlebnisse – das Interesse für abgelegene Landschaften mit Schnee und Eis wurde oft schon in der Kindheit geweckt und erst im Studium akademisch erschlossen.
Victoria erlebte zusätzlich im Biologiestudium im Besonderen die Ökologie extremer Lebensräume als faszinierend. Die Anpassungen, die Mikroben, Pflanzen und Tiere in Regionen wie der Arktis vollziehen, sind für Sie von besonderem Interesse.
Entnahme von Permafrostproben in der Tundra (V. Martin).
Neben der beeindruckenden Landschaft sind es für Carolin auch die politischen Dimensionen der Arktis, die sie besonders interessieren. Der rasche Umweltwandel in der Arktis hat gravierende geopolitische Implikationen – durch neue Handelswege, Ressourceninteressen und damit einhergehende Spannungen in internationalen Beziehungen.
Im letzten Teil des Abends warfen die Jungwissenschaftler*innen einen Blick in die Zukunft – sowohl auf ihre eigene als auch auf die der Polarforschung allgemein. Alle Anwesenden würden sich wünschen, dass sie der Polarforschung weiterhin verbunden bleiben.
Victoria hob für die Zukunft der Polarforschung hervor, dass Polarforschung nicht nur naturwissenschaftlich, sondern auch ethisch sensibel betrieben werden muss. Indigene Völker haben die arktischen und subarktischen Regionen seit Jahrtausenden bewohnt. Forschung in der Arktis findet auf dem Land indigener Gemeinschaften statt und erfordert besondere ethische Verantwortung aufgrund ihrer kolonialen Vergangenheit. Alle Eis- und Sedimentbohrkerne, Gesteine, Mikroben oder Wasserproben gehören zur indigenen Welt und stehen unter indigener Obhut. Erfolgreich dekolonialisierte Forschung erfordert daher strenge ethische Richtlinien und kann nur in indigener Mitbestimmung stattfinden
Arktische Landschaft auf Spitzbergen im Winter. J Fipper.
Zukunft in der Polarforschung
Einigkeit herrschte auch darüber, dass die Polarforschung weiterhin von großer Bedeutung für das Verständnis des Klimawandels ist. Die „Arktische Verstärkung“ beeinflusst nicht nur die Region selbst, sondern auch Wetter- und Klimamuster in mittleren Breiten. Zudem trägt das Abschmelzen des arktischen Eises maßgeblich zum Meeresspiegelanstieg bei, der Millionen Menschen in Küstenregionen bedroht. Das verdeutlicht, dass ein besseres Verständnis des arktischen Klimawandels dazu beiträgt, die globalen Folgen der Klimaerwärmung abzumildern – und zeigt die Notwendigkeit für wirksamen Klimaschutz durch die Reduzierung von Treibhausgasemissionen auf.
Nach einigen Fragerunden zwischen Vortragenden und Publikum, z. B. zur Finanzierung der Expeditionen bis hin zum Umgang mit Abfall in diesen empfindlichen Ökosystemen, kam der Vortragsteil des Polar Talks 17 zu einem Ende. Bei Snacks und Erfrischungsgetränken wurde der Austausch im Anschluss noch fortgeführt und rundete einen informativen und gelungenen Abend ab.
Medieninformation
Verfasst von Florina Schalamon, Carolin Hirt, Victoria Martin, Tobias Monthaler, Marie Schroeder, Philip Krogull und Jonathan Fipper.
Satz und Layout durch das APRI-Media Team.
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Fotos: © wie in den Bildunterschriften angegeben.
Über die Autor*innen
Florina Schalamon ist PhD Studentin an der Universität Graz.
Carolin Hirt ist PhD Studentin an der Universität Wien.
Victoria Martin ist PhD Studentin an der Universität Wien.
Tobias Monthaler ist Masterstudent an der Universität Graz.
Marie Schroeder ist PHD Studentin an der Universität Innsbruck.
Philip Krogull ist Masterstudent an der Universität Graz.
Jonathan Fipper ist Masterstudent an der Universität Graz.