Die APRI-Mitglieder Wolfgang Schöner und Jonathan Fipper verbrachten im August 2023 drei Wochen im hohen Norden. Während dieser Zeit sammelten sie mit Hilfe von unbemannten Fluggeräten (UAV) Daten über die vertikale Temperaturstruktur der oberflächennahen atmosphärischen Grenzschicht in der Nähe der Forschungsstation Villum.
Der Standort der Station Nord in Nordostgrönland nahe der Forschungsstation Villum. (© Google)
Wissenschaftlicher Hintergrund
Die vertikale Struktur von Temperatur und Feuchtigkeit in der troposphärischen Grenzschicht – dem untersten Teil der Atmosphäre, der im Austausch mit der Erdoberfläche steht – hat verschiedene Auswirkungen auf das Ökosystem und die physikalischen Bedingungen wie die Schneedecke oder das Abschmelzen der arktischen Gletscher und des grönländischen Eisschilds. Darüber hinaus steuern vertikale Temperaturgradienten die Stabilität der Atmosphäre und die Durchmischung der Luftmassen und sind daher für die Ausbreitung von Aerosolen und Luftschadstoffen von Bedeutung. Lufttemperaturinversionen – mit der Höhe ansteigende Temperaturen – stellen eine sehr stabile Schichtung dar und unterdrücken die vertikale Durchmischung und sind daher von besonderer wissenschaftlicher Bedeutung. Leider sind diese Prozesse schwer zu messen und zu modellieren, was z. B. für die Vorhersage der Auswirkungen des Klimawandels auf die Schnee- und Eisschmelze oder die Ökologie wichtig wäre. Die technische Entwicklung von unbemannten Fluggeräten (UAVs) und ihr enormes Potenzial zur Erforschung der Atmosphäre haben jedoch einen neuen Meilenstein für die Verbesserung dieser Forschung gesetzt. In Fortführung vorangegangener Forschungen an anderen Orten in Grönland haben zwei Forscher der Universität Graz mit einer UAV-basierten Methode eine umfangreiche Messkampagne zur vertikalen Temperaturstruktur der oberflächennahen atmosphärischen Grenzschicht in der Arktis durchgeführt.

Forschungsstation Villum. (© Wolfgang Schöner)
Vertikale Temperaturgradienten in der Atmosphäre werden auf einer großen räumlichen Skala durch synoptische meteorologische Prozesse gesteuert. An der Erdoberfläche werden sie jedoch durch die regionale Topographie und verschiedene Oberflächeneigenschaften verändert, die lokal sehr unterschiedlich sein können. Schnee- und Eisoberflächen reflektieren aufgrund ihrer hohen Albedo einen großen Teil der einfallenden Sonnenstrahlung und können 0°C nicht überschreiten. Darüber hinaus sind Schnee- und Eisflächen ideale Emittenten langwelliger Strahlung, was insbesondere während der Polarnacht zu hohen Energieverlusten führt. Im Gegensatz dazu absorbiert die schneefreie Tundra viel mehr Sonnenstrahlung und kann sich daher stark erwärmen. Die daraus resultierenden Temperaturunterschiede an der Oberfläche erzeugen je nach Oberflächenbeschaffenheit auch Temperaturunterschiede in der Atmosphäre. Außerdem kann das Zusammenspiel der oberflächennahen Temperaturunterschiede Lokalwindsysteme, wie den katabatischen Wind erzeugen, der durch das Abfließen der vergleichsweise kalten und schweren Luftmassen über dem Eis von Gletschern und Eiskappen entsteht. Extreme Ausprägungen des katabatischen Windes werden um das grönländische Eisschild beobachtet. Die relativ wärmeren Luftmassen über der Tundra neigen zur Konvektion (Aufsteigen von vergleichsweise wärmeren und leichteren Luftmassen). Die unterschiedliche thermische Reaktion der Tundra im Vergleich zum Meer ist auch eine Voraussetzung für das Land-See-Windsystem. In einer sich erwärmenden und verändernden Arktis mit z. B. abnehmenden Schneedecken erfahren auch die vertikalen atmosphärischen Strukturen Veränderungen und stehen dabei in komplexen Wechselwirkungen mit verschiedenen Prozessen.
Jonathan bei der Landung der Drohne. (© Wolfgang Schöner)
Forschungsstation Villum/ Untersuchungsgebiet
Station Nord, der nördlichste dänische Militärstützpunkt, liegt im Nordosten Grönlands auf 81° Nord in Kronprinzen-Christian-Land (dänisch: Kronprins Christian Land) auf der Prinzessin-Ingeborg-Halbinsel (dänisch: Prinsesse Ingeborg Halvø). Mit fünf Soldaten, die ständig vor Ort sind, ist Station Nord eine der nördlichsten Siedlungen der Welt. Unweit der 70 Jahre alten Militärbasis, die seit 1975 vom dänischen Militär betrieben wird, befindet sich die Forschungsstation Villum (VRS). Die VRS wird von der Universität Aarhus betrieben und wurde 2015 durch eine Spende des Villum-Fonds finanziert. Das umliegende Relief ist überwiegend flach, wobei sich die größte Eiskappe Grönlands – Flade Isblink – 15 km südlich der Station befindet.
Aufgrund des sehr kalten polaren Tundraklimas mit Durchschnittstemperaturen von im Sommer unter 5°C ist die Tundra nur spärlich bewachsen. Mehrere Atmosphärenüberwachungsprogramme, wie das Integrated Carbon Observation System (ICOS) oder die WMO-Global Atmosphere Watch, sind in der Umgebung der VRS aktiv und verfügen über eine große Anzahl von permanent installierten Messgeräten. Mit seinen eisfreien Seen und dem im Sommer teilweise eisfreien Meer sowie der leicht zugänglichen Eiskappe mit seinen ins Meer kalbenden Auslassgletschern und ausgedehnten Tundragebieten ist die VRS ein sehr attraktiver Ort für viele Forschungsdisziplinen.
Blick auf das Untersuchungsgebiet von Flade Isblink (links), Station Nord (rechts). (© Wolfgang Schöner)
Messkampagne bei der VRS
Radiosonden (Wetterballons) sind nach wie vor eine wichtige Quelle für die Messung vertikaler Strukturen der Atmosphäre und damit auch für die Wettervorhersage. Sie spielen auch eine wichtige Rolle bei der so genannten Klimareanalyse, die aus der „Verschmelzung“ von Beobachtungen und Modellen für die Vergangenheit eine bestmögliche Schätzung der meteorologischen Bedingungen vornimmt. Allerdings mangelt es den Radiosonden Nahe der Erdoberfläche an räumlicher Auflösung und Genauigkeit. Andere Methoden zur Messung der vertikalen Strukturen der Atmosphäre sind in der Regel sehr energie- und gewichtsaufwendig oder stellen andere Herausforderungen dar. Mit Hilfe von UAVs können atmosphärische Bedingungen in hoher räumlicher Auflösung auch in Bodennähe erfasst werden.
Zum besseren Verständnis der vertikalen atmosphärischen Strukturen wurden in dieser Messkampagne Quadcopter-Drohnen eingesetzt, die mit einem Sensor ausgestattet sind, der sekündlich Temperatur, Feuchtigkeit, Luftdruck, Höhe über Meeresniveau und die geographischen Koordinaten erfasst. Um den Einfluss verschiedener Oberflächeneigenschaften auf die hocharktische Grenzschicht zu quantifizieren, wurden vertikale Profile über offenem Meer, einem eisfreien Süßwassersee, einem Auslassgletscher von Flade Isblink und über der Tundra gemessen.
Eine typische Situation der unterschiedlichen vertikalen Temperaturstrukturen über einem Auslassgletscher von Flade Isblink und der Tundra (gemessen am 2. August 2023) (links © Jonathan Fipper), Messpunkte (rechts © Wolfgang Schöner).
Obwohl die Wetterbedingungen keine täglichen UAV-Flüge zuließen, wurden mehr als 100 Profile unter verschiedenen meteorologischen Bedingungen mit Temperaturen von -2°C bis 11°C gesammelt. Ein 80 m hoher Meteomast und verschiedene andere fest installierte atmosphärische Messinstrumente rund um die VRS werden dazu beitragen, die UAV-Messungen vor dem Hintergrund verschiedener Wettersituationen und der damit verbundenen Oberflächenenergiebilanz besser zu verstehen. Darüber hinaus bieten sie eine gute Gelegenheit, die Genauigkeit der innovativen UAV-basierten Messmethode gegenüber den fest installierten Messungen am Meteomast zu validieren.
Jonathan fliegt die Drohne (links), Die von der Drohne gemessenen Werte werden mit den zur gleichen Zeit am 80m-Meteomast gemessenen Werten verglichen. (rechts). (© Wolfgang Schöner)
Aber nicht nur die Drohnen hatten an einigen Tagen mit den Wetterbedingungen zu kämpfen. Auch der Rückflug der beiden Forscher nach Svalbard musste mehrfach verschoben werden, so dass sie gezwungen waren, länger als geplant an der VRS zu bleiben, wodurch der Datensatz erweitert werden konnte.
Was man aus den Messungen lernen kann
Zurück in Graz wird die Auswertung der Messungen dazu beitragen, die Auswirkungen unterschiedlicher Wettersituationen auf die atmosphärischen Temperaturstrukturen durch die kombinierte Analyse mit Reanalysedaten besser verstehen zu können. Dies soll dazu beitragen, lokale und oberflächennahe Strukturen im Zusammenhang mit großräumigen atmosphärischen Mustern besser zu verstehen. Zudem lässt sich ableiten, wie repräsentativ die beobachteten Vertikalprofile für das VRS-Gebiet (Prinzessin-Ingeborg-Halbinsel) sind. Außerdem können die Daten zur Verbesserung künftiger Reanalyseprodukte beitragen, indem sie typische oberflächennahe Temperaturprofile für Nordgrönland während der Sommersaison liefern.
Medieninformation
Verfasst von Jonathan Fipper und Wolfgang Schöner.
Layout und Satz durch das APRI-Medien Team.
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Fotos: © Wolfgang Schöner
Über die wissenschaftlichen Autoren
Dr. Wolfgang Schöner ist Professor an der Universität Graz und Direktor des APRI; Jonathan Fipper ist Masterstudent an der Universität Graz und Mitglied der APRI Forschungsgruppe Abermann