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Polar Talk #6 im Naturhistorischen Museum Wien, von Dr. Jakob Abermann, 25. Mai 2022

Skitouren in den Bergen des Fjordsystems um Nuuk (© Jakob Abermann).
 

Dr. Jakob Abermann ist Meteorologe und Glaziologe an der Universität Graz. Seine Forschungen führten ihn unter anderem für längere Zeit nach Grönland, das er im Zuge seiner Arbeiten mit all seinen Facetten kennen gelernt hat. Abermann richtete dabei zwar seinen Forschungsfokus auf Schmelzprozesse am Eisrand, bemühte sich aber gleichzeitig in die Gesellschaft des Landes – eigentlich der größten Insel der Welt – einzutauchen und das Land und seine Bewohner mit ihrer Historie und ihren derzeitigen Lebensumständen kennen und verstehen zu lernen. In seinem spannenden Bericht spannte er einen Bogen von Land und Menschen und deren Bemühungen auf dem Weg in die Selbständigkeit zu den kritischen Fragen von Grönlands Geopolitik und seinen begehrten Rohstoffen. Abermann scheute sich aber auch nicht schwierige gesellschaftpolitische Fragen anzusprechen und bettete auch seine eigenen Forschungen im Kontext der Langzeitbeobachtungen ein.

Nun stellt sich die Frage, warum ausgerechnet Grazer Wissenschaftler einen derart starken Bezug zu Grönland haben. Ein erster Anker ist Alfred Wegener, bekannt für die von ihm aufgestellte Theorie zur Kontinentalverschiebung. Was weniger Menschen wissen ist, dass Alfred Wegener zwei seiner Grönlandexpeditionen zu Zeiten seiner Professur an der Universität Graz machte. In diesen Expeditionen ermittelte er noch heute für die Klimaforschung bedeutende Daten, wie Jakob Abermann in spannenden Worten in seinem Vortrag schilderte.

Ausblick von der Siedlung Ittoqqortormiit, Nordost Grönland (© Jakob Abermann).
 

Was macht Grönland so einzigartig?

Es ist einfach das Kalalliit Nunaat – das „Land der Menschen“ wie es die GrönländerInnen nennen – 56.000 an der Zahl – gerade einmal so viele Menschen wie in St. Pölten wohnen. Dem steht eine Fläche von 2,17 Mio km2 gegenüber, wobei 80% der Fläche (noch) eisbedeckt sind. Die Bevölkerung lebt überwiegend an der Küste in den wenigen größeren Städten.

Hundeschlittentour zum Kap Tobin, Ittoqqortoormiit, Nordost Grönland (© Christoph Ruhsam, www.pure-landscapes.net).

Dort befindet sich auch die Hauptstadt Nuuk mit ihren 19.000 EinwohnerInnen. Abermann schilderte anschaulich auch die zugehörige Geschichte – woher kamen die Menschen ursprünglich? Mehrere Besiedlungswellen erfuhr die große Insel – die erste bereits 2500 v.Chr. Die Menschen kamen von Nordamerika und besiedelten zuerst die Westküste. Im ersten Jahrtausend kam die Dorsetkultur und zeitgleich die Wikinger, deren Fokus auf der Landwirtschaft lag, während die Inuit bei Fisch- und Meeressäugerfang blieben. 1721 fand der Missionar Hans Egede seinen Weg auf die Insel – der Start der Kolonialgeschichte Grönlands. Heute – so erläuterte Abermann – hat Grönland einen völkerrechtlich komplizierten Status als ein an und für sich souveräner Staat, der aber politisch wie finanziell sehr eng an Dänemark gebunden ist und nach wie vor dem dänischen Königshaus untersteht. Heute haben viele GrönländerInnen gemischte Elternteile und verbringen auch Teile ihres Lebens – u.a. zum Studium – in Dänemark. Eine oft auch tragische Kolonialgeschichte hinterließ auch in der Sprache ihre Spuren, da vielen GrönländerInnen das Grönländisch abgewöhnt wurde. Abermann bezifferte es so, dass je nach Definition etwa 80–90 % ethnische GrönländerInnen auf Grönland leben, der überwiegende Anteil des Rests sind DänInnen, aber auch „AusländerInnengruppen“, wie z. B. die Philippinen finden sich hier.

Bekannte Vorkommen von Bodenschätzen in Grönland. (Udvalget for Samfundsgavnlig udnyttelse af Grønlands naturresourcer, 2014; verändert).

In den letzten Jahren nimmt das Interesse an Grönland stetig zu – und das nicht nur wegen seiner landschaftlich unvergleichlichen Schönheit, sondern vielmehr aufgrund seiner geopolitisch strategischen Bedeutung und aufgrund der vielversprechenden Vorkommen diverser Bodenschätze. Bedingt durch die Klimaänderung versprechen sich viele Staaten/Firmen deren leichtere Föderbarkeit.

Das nicht einfache Leben auf Grönland spiegelt sich leider auch in unschönen Fakten wider, wie Abermann berichtet. Hierzu gehören etwa der episodisch sehr starke Alkoholkonsum, der in den letzten Jahren jedoch deutlich gesunken ist, eine etwa fünfmal so hohe Selbstmordrate wie in Österreich und dramatisch hohe Zahlen beim sexuellen Missbrauch von Minderjährigen.

Einen großen Teil des Vortrags widmete Abermann in sehr klaren Worten dem Klimahotspot Grönland.

„Trotz aller Tragik ist die größte Insel der Welt meiner persönlichen Erfahrung nach überwiegend von humorvollen, beeindruckend anpassungsfähigen und hilfsbereiten Menschen bewohnt.“

Jakob Abermann

Grönland - Hotspot des Klimawandels

Blick auf die Randzone des Grönländischen Inlandeises mit Randmoränen, 30km östlich von Kangerlussuaq (© Barbara Hinterstoisser).

Freilich hat das grönländische Eisschild in der Klimageschichte der Erde schon beeindruckende Variationen mitgemacht. Ein Schlüssel für das Verständnis dieser Geschichte liegt in der Analyse der Eisbohrkerne. In der letzten Eiszeit – so berichtete Abermann – reichten die Eismassen über die Küstenlinie Grönlands hinaus. In den 1920er und 1930er Jahren kam es zu einem besonders starken Rückgang der Randgletscher.

(C) Heutiger Stand bzw. (D–F) Zukunftsszenarien der Eisausbreitung für das Jahr 3000 AD (Aschwanden et al. 2019).

Ende der 1990er Jahre haben sich die Abschmelzraten beschleunigt. Die schwierige Interpretation der Daten und insbesondere die Vorausschau auf kommende Entwicklungen des grönländischen Eisschildes versuchte Abermann anhand von Messaufzeichnungen, Modellrechungen und Massenbilanzen dem gespannt zuhörenden Auditorium zu erläutern: „Grönland verliert eindeutig an Eismasse und seit den 1990er Jahren geschieht dies auch beschleunigt, wobei sich der Trend in den letzten Jahren auf einem hohen Niveau eingependelt hat. Dabei setzt sich der Massenverlust aus einem dynamischen (also das Eis, das direkt vom Eisschild in den Ozean abbricht) und einem Oberflächenmassenverlust zusammen. Es spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle: Meerestemperaturen und Schmelzwasser, das von der Oberfläche eindringt, steuern gemeinsam den dynamischen Verlust, wohingegen die Oberflächenmassenbilanz von Lufttemperatur und Niederschlagsmengen bestimmt wird.“ Die Zusammenhänge sind äußerst komplex und schwer vorauszuberechnen. Sicher ist, dass in Grönland eine weiterhin verstärkte Eisschmelze sichtbar sein wird. Summa summarum gab Abermann einen sehr umfassenden, vielseitigen und um Objektivität bemühten Einblick in viele Lebensbereiche auf Grönland und in dessen Klimageschichte von gestern, heute und morgen.

Das Fjordsystem von Nuuk (© Jakob Abermann).

Weitere Forschungen in den Bereichen Klimatologie, Geologie, Soziologie, Ökologie, und Artenvielfalt u.v.a. mehr werden wohl noch auf dem Programm der Grazer WissenschaftlerInnen stehen, die derzeit eine Forschungsstation an der Ostküste gemeinsam mit der Universität Kopenhagen erweitern, mit maßgeblicher Beteiligung des Austrian Polar Research Institutes.

Medieninformation

Geschrieben von Barbara Hinterstoisser, Mitglied des APRI-Media Teams.
Layout vom APRI-Media Team.
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Fotos, wenn nicht anders angegeben: © Jakob Abermann

Über den wissenschaftlichen Author

Jakob Abermann, Universität Graz, Österreich

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