Neue Satellitenstudie belegt umfassenden Rückgang von Gezeitengletschern in Grönland seit den 1980er Jahren
Eine groß angelegte Studie unter Leitung von Dominik Fahrner, Universität Liverpool, und unter Beteiligung des Austrian Polar Research Institute (APRI) belegt einen starken grönlandweiten Rückgang der Gletscherfronten der größten Insel der Welt, der in den 1980er-Jahren einsetzte. Jakob Abermann vom APRI hat an der Auswertung der Satellitendaten von 206 kalbenden Gletschern in Grönland im Zeitraum 1984 – 2017 mitgearbeitet. „Im Nordosten der Insel ist dieser Rückgang bereits seit 1984 zu beobachten. Ab 2004 hat sich dieser verstärkt. Das ist ein Beleg, dass die Gletscher massiv auf Klimaveränderungen reagieren“, so Jakob Abermann.
Karte der Gezeitengletscher in Grönland und Beispiel der Veränderungen einer Gletscherfront (aus Fahrner et al. 2021)
Aktuell umfassendste Studie zu Gezeitengletschern
Gezeitengletscher münden direkt ins Meer und produzieren beim Aufschwimmen auf dem Wasser durch das Abbrechen von Eisstücken – dem sogenannten Kalben – Eisberge unterschiedlichster Größe. Das Besondere an der Forschungsarbeit ist, dass alle Gezeitengletscher rund um Grönland über einen langen Zeitraum von 34 Jahren erfasst wurden und die Entwicklung der Gletscherfronten beschrieben werden konnten. Den komplexen Auswertungen liegen die Kartierung von über 3.500 Gletscherfronten (Sichtung von über 20.000 Satellitenbildern), Erhebungen der Meeresoberflächentemperaturen und der Wassertemperaturen in tieferen Schichten, Messungen der Lufttemperaturen von strategisch gewählten Wetterstationen sowie Messungen des Eis- und Schmelzwasserabflusses zugrunde. Erstmals kann ein auf wissenschaftlichen Auswertungen beruhendes, umfassendes Bild über die Entwicklungen der Gezeitengletscher Grönlands geliefert werden.
Kalbender Gezeitengletscher (© Christoph Ruhsam, www.pure-landscapes.net)
Gleichmäßiger Gletscherrückgang
Die Auswertungen ergaben, dass die kalbenden Gletscher, wenn sie als Gruppe betrachtet werden, linear auf Klimaänderungen reagieren. Das Verhalten von einzelnen Gletschern ist hingegen sehr komplex und nicht linear. Weiters konnte gezeigt werden, dass der Eisabfluss, trotz eines grönlandweiten Rückgangs der Gezeitengletscher, relativ ausgeglichen ist und hauptsächlich von 11 der 206 analysierten Gletscher bestimmt wird. Der Jakobshavn Gletscher, der Helheim Gletscher und der Kangerlussuaq Gletscher zeigen die größten Änderungen im Eisfluss. Gletscher im Südwesten, Nordwesten und Südosten des grönländischen Eisschildes scheinen bis in die 1990er Jahre relativ stabil geblieben zu sein. Dann jedoch erfolgte ein stetiger Rückgang von 190 der 206 über ganz Grönland analysierten Gezeitengletscher. Der Rückzug der Gletscherfronten wird von steigenden Wassertemperaturen an den Meeresoberflächen und einem Anstieg der Lufttemperaturen begleitet. Hingegen beobachtet man im Nordosten Grönlands einen anhaltenden linearen Rückgang über den gesamten untersuchten Zeitraum bereits seit 1984. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass dem stetigen Rückgang der Gletscherfronten im Zeitraum 2002 bis 2003 eine dreijährige Periode von steigender Wassertemperatur an den Meeresoberflächen und Abweichungen vom langjährigen Mittel der Sommer-Lufttemperatur voranging.

Gezeitengletscher Kangiaata Nunaata Sermia (© Jakob Abermann)
„Ein starker Einfluss von Meeresoberflächentemperaturen und Lufttemperaturen im Sommer konnte auf das Verhalten von Gletschern jeweils im Nordosten und Südwesten des grönländischen Eisschildes nachgewiesen werden.“
Jakob Abermann
Die Analysen zeigen, dass das Verhalten von 28% der Gletscher von verschiedensten zusammenwirkenden Klima-Parametern beeinflusst wird. Ein starker Einfluss von Meeresoberflächentemperaturen und Lufttemperaturen im Sommer konnte auf das Verhalten von Gletschern jeweils im Nordosten und im Südwesten des grönländischen Eisschildes nachgewiesen werden. Darüber hinaus wurde erkannt, dass der Eisfluss der einzelnen Gletscher stark von deren Ausdehnung, der Topografie des Gletscherbetts und der jahreszeitlichen Eis-Dynamik abhängig ist. „Die zentrale Erkenntnis der Studie ist, dass die Gezeitengletscher des gesamten grönländischen Eisschildes stark auf die Klimaänderungen reagieren und deren Eishaushalt nicht in Balance ist, was zu einem stetigen Eisverlust des grönländischen Inlandeises führen wird“, erklärt Jakob Abermann.
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Über den wissenschaftlichen Autor
Jakob Abermann, Universität Graz.
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