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Snow2Rain Feldforschungsbericht aus Tasiilaq, Ostgrönland Teil II

„Eine Anthropologin und ein Schneeklimatologe spazieren in den Schnee…“

Das klingt vielleicht wie der Anfang eines schlechten Witzes, aber für mich war es der Beginn einer interessanten Zusammenarbeit, die uns in den abgelegenen Ort Tasiilaq in Ostgrönland geführt hat. Die Anthropologin ist meine Kollegin: Anna Burdenski. Sie stammt aus Deutschland und ist Doktorandin an der Universität Wien. Der Schneeklimatologe bin ich: Jorrit van der Schot. Ich bin Niederländer und Doktorand an der Universität Graz. Wir kommen aus verschiedenen Ländern, haben unterschiedliche Hintergründe, unterschiedliche Persönlichkeiten und arbeiten an verschiedenen österreichischen Universitäten in verschiedenen Disziplinen. Unsere Gemeinsamkeit ist, dass wir an dem interdisziplinären Forschungsprojekt Snow2Rain zusammenarbeiten, in dem wir uns mit schneebedingten Umweltveränderungen und deren Auswirkungen auf die Menschen in Tasiilaq befassen. Insbesondere interessiert uns der Übergang von Schneefall zu mehr Regenfall. Mit dem Klimawandel und einer sich erwärmenden Arktis wird die Arktis in Zukunft voraussichtlich etwas nasser werden. Mehr Details zu dieser Veränderung finden sich in einem Blogbeitrag auf unserer Projektwebsite. In diesem Teil hier möchte ich von der Zusammenarbeit zwischen Anna, mir und den Einheimischen in Tasiilaq berichten.

Wissenschaft im Alltag relevant machen

Unser Spaziergang in den Schnee begann, als wir Anfang November 2021 auf dem Flughafen in Nuuk landeten. Unser Forschungsprojekt hatte viel früher begonnen, aber aufgrund der anhaltenden Covid-19 Pandemie hatten wir unsere Einreise nach Grönland verschoben. Stellt euch unsere Aufregung vor, endlich Grönland zu betreten und dort mit unserer Forschung zu beginnen! Bevor wir an die Ostküste aufbrachen, verbrachten wir einige Tage in Nuuk, um an der Konferenz „Greenland Science Week 2021“ mit dem wichtigen Thema „Making science matter“ teilzunehmen. In der Wissenschaft ist es immer eine gute Idee, sich zu fragen: „Warum ist unsere Forschung wichtig und für wen?“. Wenn erwartete Auswirkungen des Klimawandels das Leben von Menschen berühren (was fast immer der Fall ist), kann die Kartierung dieser Auswirkungen auf lokaler Ebene den Menschen helfen zu verstehen, wie sich die Veränderungen möglicherweise auf ihr Leben auswirken können. Diese Relevanz geht oft über die lokale Ebene hinaus. Beispielsweise können die Erkenntnisse, die wir durch unser Projekt gewinnen, auch in anderen Orten in Grönland von Bedeutung sein. Abgesehen davon hat unser Projekt noch eine andere Bedeutung: Die Zusammenarbeit zwischen zwei DoktorandInnen unterschiedlicher Disziplinen und der lokalen Bevölkerung ist sehr intensiv und herausfordernd. Wir lernen nicht nur selbst viel daraus, sondern hoffen, dass die Antworten Inspiration für die Einbeziehung der Menschen vor Ort in den Forschungsprozess sein können. Auf diese Weise kann die Wissenschaft das Leben der Menschen direkter beeinflussen.

Das verschneite Nuuk, Veranstaltungsort der Greenland Science Week Konferenz 2021.

Schneeklimatologie: Von der Arbeit am Computer in den Schnee

Seit ich mit meiner Promotion in Schneeklimatologie begonnen habe, habe ich meine gesamte Arbeitszeit vor dem Bildschirm meines Laptops verbracht. Zugegeben, ich habe an diesem Laptop viel über Tasiilaq, das grönländische Klima und die Wechselwirkungen zwischen Schnee und Klima gelernt. Es spricht allerdings viel dafür, dass man zumindest ab und zu auch mal die Kälte des Schnees spüren sollte, wenn man diese Diszipline studiert. In Tasiilaq gehörte es zu unseren Aufgaben, manuelle Schneemessungen durchzuführen und einen Schneesensor zu installieren. Ohne praktsiche Erfahrung in diesen Bereichen waren dies allerdings anspruchsvolle Aufgaben. Dies galt umso mehr für Anna, die keinerlei Erfahrung in der Schneeklimatologie hatte. Um diese Herausforderung zu meistern, haben wir uns für einen „Learning by Doing“-Ansatz entschieden. Auch wenn es hilfreich ist, ein Handbuch zur Durchführung von Schneemessungen zu lesen, war es für uns der beste Weg, dies zu Erlernen während wir ausprobieren diese Messungen durchzuführen. Dieser Ansatz war nicht nur eine hervorragende Möglichkeit für uns, neue Fähigkeiten zu entwickeln, sondern ermöglichte es auch, gemeinsam über das „Wie“ und „Warum“ der Methodik nachzudenken. Mit diesen Schneemessungen sammeln wir Daten zur Höhe und Dichte der Schneeschicht. Das Ziel dieser Messungen liegt darin Daten zu sammeln, die zum Vergleich mit den Klimamodellen dienen, um festzustellen wie gut diese Modelle die lokalen Schneebedingungen repräsentieren.

Blick auf den Schneesensor, der in Tasiilaq installiert worden ist.

Interdisziplinäre Denkwseise: 2 + 2 = 5

Der interessanteste und intensivste Teil der Zusammenarbeit zwischen Anna und mir begann, als wir in Tasiilaq ankamen. Interdisziplinäre Forschung – Was bedeutet das eigentlich? Ich würde antworten: „Es bedeutet eine Art der Forschung, an der verschiedene Disziplinen beteiligt sind und bei der diese Kombination einen gewissen Nutzen bringt, der den Mehrwert der einzelnen Disziplinen erweitert. Man könnte es sich wie folgt vorstellen: 2 + 2 = 5.“ Die Kombination und Integration zweier Disziplinen führt zu zusätzlichen und unerwarteten Vorteilen. Indem wir besser verstehen, wie das Leben der Menschen in Tasiilaq aussieht, können wir auch die, für die Menschen relevanten, Veränderungen im Schnee besser untersuchen. Und durch die Erforschung von Schnee- und Wetteränderungen können wir die erwarteten Veränderungen in der Umwelt der Menschen besser verstehen.

Häuser und die Kirche vor dem Hintergrund der berühmten Berge.

Indem wir all dies kombinieren, versuchen wir, die Lücke zwischen einem naturwissenschaftlichen Ansatz zur Schneewissenschaft und einem lokalen Wissensansatz zum selben Thema zu schließen, sodass die Kommunikation zwischen ForscherInnen und der lokalen Bevölkerung sinnvoller gestaltet wird. Deshalb haben wir beide uns die Zeit genommen und uns gemeinsam auf das alltägliche Leben in Tasiilaq eingelassen, anstatt ohne vorheriges Verständnis des lokalen Kontexts mit Workshops und Interviews über unsere Forschungsziele zu starten.

Wenn ich das niederschreibe, klingt es theoretisch ziemlich einfach. In der Realität verlief unsere Zusammenarbeit natürlich nicht immer ohne Herausforderungen. Wir mussten oft außerhalb unserer Komfortzone agieren. Unsere verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen verwenden eine unterschiedliche Sprache und haben teilweise sehr differenzierte Herangehensweisen. Wir mussten Meinungsverschiedenheiten über den besten Ansatz für unsere Forschung lösen und klarstellen, warum bestimmte Ansätze in unseren jeweiligen Disziplinen üblich sind. Eine herausfordernde aber produktive Aufgabe, da es eine weitere Übung ist, um über die Fragen „warum arbeite ich auf diese Weise?“ und „warum ist das wichtig?“ nachzudenken.

Unser Forschungsprojekt ist noch lange nicht abgeschlossen. Und im Moment liegen etwa 3.000 Kilometer sowie der Atlantik zwischen mir und meiner Kollegin. Im Juni dieses Jahres werde ich hoffentlich mit einem Rucksack voller wissenschaftlicher und lokal relevanter Daten nach Tasiilaq zurückkehren. Anna wird bis dahin in Tasiilaq bleiben, um mehr über die komplizierten Zusammenhänge zwischen dem Leben der Menschen in Tasiilaq und dem Schnee herauszufinden. In der Zwischenzeit setzen wir auch über die Distanz hinweg unsere spannende Zusammenarbeit fort.

Anna und Jorrit bei der Arbeit, während der Durchführung von Schneemessungen in Tasiilaq.

Medieninformation

Verfasst von Jorrit van der Schot.
Konakt: Nützen Sie das Kontaktformular.
© Bilder von Anna Burdenski und Jorrit van der Schot.
Die Aktivitäten von Snow2Rain können auch über Facebook, Instagram oder ihre Webseite verfolgt werden.

Über den wissenschaftlichen Autor

Jorrit van der Schot, Doktorand in der Schneeklimatologie am Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz

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