Snow2Rain Projekt: Feldforschungsbericht aus Tasiilaq, Ostgrönland Teil I
Dieser Feldforschungsbericht gibt einen Einblick in die Komplexität, Herausforderungen und Lernmöglichkeiten zweier NachwuchswissenschaftlerInnen während ihrer Forschung für ihr interdisziplinäres Forschungsprojekt Snow2Rain.
In unserer Zusammenarbeit bringen wir die Disziplinen Anthropologie und Schneeklimatologie zum Wohle der Menschen in Tasiilaq, Ostgrönland, zusammen. Wir untersuchen, wie das vereinen der Stärken der Sozial- und Naturwissenschaften neue und unterschiedliche Arten von Wissen über Umweltveränderungen schaffen können. Dieser Erfahrungsbericht besteht aus drei Teilen; Teil I stellt das Forschungsprojekt vor, während Teil II und III unseren individuellen Perspektiven über die gemeinsame Zeit in Tasiilaq gewidmet sind.
Von Schnee zu Regen
Mitten im Winter, begannen wir, Anna und Jorrit, im November 2021 endlich unserer Feldarbeit für das interdisziplinäre Forschungsprojekt Snow2Rain. Der Projektname von Schnee zu Regen, oder eben Snow2Rain, reflektiert die erwarteten zukünftigen Veränderungen von Schneefall zu mehr Regenfällen in Grönland. Diese vorhergesagte Änderung spiegelt sich auch im Logo des Snow2Rain-Projekts wider, das den Phasenübergang von Schnee zu Regen darstellt, den Wissenschaftler auf der Grundlage von Klimamodellen für die Arktis skizzieren.
Snow2Rain Projektlogo gestaltet von Mark Nielsen Outridge.
Tasiilaq liegt in einer Region in Grönland, die normalerweise jedes Jahr hohe Niederschlagsmengen erhält. Aufgrund des Klimawandels steigen die Temperaturen weltweit und insbesondere in der Arktis. In Grönland führen die höheren Temperaturen zu weniger Meereis und mehr Verdunstung des Meerwassers. Das verdunstete Wasser wird letztendlich wieder niederfallen und aufgrund der höheren Temperaturen wir es mit zunehmender Wahrscheinlichkeit als Regen fallen. Daher wird erwartet, dass die Schneefallmenge abnehmen wird und dass es in Zukunft mehr regnen wird. Unser Projekt will diesen Übergang von Schnee zu Regen verstehen und wie dieser die Lebensqualität in Tasiilaq beeinflusst. Wir nutzen physikalische Schneemessungen und Daten aus Klimamodellen und kombinieren diese mit lokaler Expertise zum Thema Schnee und Regen. Die physikalischen Schneemessungen betstehen aus einem Schneesensoren, der automatisch die Dichte des darüber liegenden Schnees misst, und aus manuellen Messungen der Schneehöhe und Schneedichte. Mit unserem Ansatz hoffen wir, die Herausforderungen des Lebens mit diesen erwarteten Veränderungen besser zu verstehen und Resultate für die BewohnerInnen von Tasiilaq zu schaffen.

Regnerischer Tag in Tasiilaq im Dezember 2021.
Tasiilaq, Ostgrönland
Tasiilaq, was „der Ort mit einem See“ bedeutet, aufgrund der Form des Fjords, ist mit circa 1.900 EinwohnerInnen der größte Ort an der Ostküste Grönlands. Der Ort liegt auf der Ammassalik Insel. Was oft als ein abgelegener, rauer und isolierter Ort bezeichnet wird, offenbart sich als malerische Landschaft mit steilen und markanten Bergzügen, tiefen Fjorden und im Sommer blumengeschmückte Täler, die jetzt vorerst mit einer dicken Schneeschicht überzogen sind.

Diese Karte zeigt das Gebiet der Ammassalik Insel, auf der Tasiilaq liegt. Der rot markierte Bereich in der oberen rechten Ecke zeigt wo sich die Ammassalik Insel im Osten Grönlands befindet.
Hintergrund-Infos: Die Forschungsstation in der Nähe des Mittivakkat-Gletschers ist ein Stützpunkt für WissenschaftlerInnen, die in der Region Ammassalik forschen. Einige Beispiele für Forschungsaktivitäten sind: Wartung der Wetterstationen auf Mittivakkat, Durchführung von Schneemessungen und Messung der Wassermengen, die vom Gletscher kommen.
Unsere lange Reise begann in Kopenhagen mit einem Flug nach Kangerlussuaq mit dem Airbus 330-200, von wo wir noch am selben Tag mit einer Dash-8-200 nach Nuuk weiterflogen. Hier ist mindestens eine Übernachtung notwendig bevor es weitergehen kann. Wir haben diesen Zwischenstopp um ein paar Tage verlängert, um an der ‚Greenland Science Week 2021‘ Konferenz teilzunehmen. Ganz im Zeichen unseres Grönlandabenteuers verzögerte sich unser Weiterflug aufgrund des stürmischen Wetters an der Ostküste. Nach zwei Tagen Verspätung, oder aber nach weiteren zwei Tagen in denen wir Nuuk genießen konnten, flogen wir mit einer Dash-8-200 weiter nach Kulusuk und landeten schließlich nach einem 10-minütigen Hubschrauberflug mit einem Bell 212 in Tasiilaq. Flugzeuge, abgesehen von Booten, sind das wichtigste Transportmittel und für lange Distanzen die einzige Art der Verbindung und Mobilität. Für uns fühlten sich all diese Strecken in der Luft eher wie ein wunderbares Sightseeinerlebnis an; Wir hatten Glück Fensterplätze zu ergattern und einen Blick von oben auf diese riesige schneebedeckte und eisige Insel zu werfen.

Anna auf dem Weg zum Helikopter für das letzte Stück der Reise nach Tasiilaq.
Da sind wir endlich, in Tasiilaq, ein Jahr der Vorbereitung, Gedankenprozesse, Diskussionen über Ansätze in unserem Gepäck und doch finden wir uns dort wieder, wo alles begann und was die wichtigste Frage zu sein scheint: „Was machen wir jetzt?“ Bald werden wir feststellen, dass wir doch sehr unterschiedliche Erwartungen und Vorstellungen von den vor uns liegenden vier Wochen hatten. Was uns zusammengebracht hat, ist Kommunikation, das Lernen über die jeweils andere Disziplin in der Praxis, das Lehren über die eigene Disziplin, sowie das Aufzeigen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten, um eine Balance zu schaffen, was möglich ist und was nicht.
Interdiszinplinäre Forschung - eine Zusammenarbeit zwischen Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und den Menschen in Tasiilaq
Es ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Klimatologie und Anthropologie in Zusammenarbeit mit den BewohnerInnen von Tasiilaq. Gleich von Beginn an ereigneten sich viele Dinge auf einmal, unzählige neue Eindrücke prasselten auf uns ein, und doch hat sich das „Zeit nehmen“ als einer der wichtigsten Grundsteine bei der Initiierung einer Zusammenarbeit mit der lokalen Gemeinde in Tasiilaq erwiesen. Den Rhythmus des Alltags in Tasiilaq zu verstehen, z.B. wie man am besten auf Menschen zugeht oder wie man sich über Ereignisse im Ort informiert, erfordert eine gute Beobachtungsgabe und die Bereitschaft, proaktiv und flexibel zu sein.
Der Rahmen unseres Projekts bietet eine einzigartige Konstellation, die das Sammeln von Schneedaten und ethnographische Feldforschung zusammenbringt. Aufgrund des kleinen Projektteams unterstützt die Anthropologin den Schneeklimatologen bei Messungen und gleichzeitig erhält der Schneeklimatologe Einblicke in die Bedeutung der ethnografischen Feldforschung. Wir sind zwei DoktorandInnen am Anfang ihrer wissenschaftlichen Laufbahn, die auf ihrer eigenen Disziplin aufbauen und gleichzeitig in eine andere Disziplin eintauchen. Das Sammeln von wissenschaftlichen Daten durch einen ethnographischen Forschungsansatz erfolgt durch verschiednene Beobachtungs- und Konversationtechniken, sowie anhand niedergeschriebener Darstellungen.

Das Konzert des Duos „Nanook unplugged Duo“ in der Sporthalle.
Der Hauptfokus liegt dabei auf der Interaktion der ForscherInnen mit Menschen in ihrer Umgebung indem sie selbst Teil des Alltagslebens werden. In unserem Kontext waren dies zum Beispiel, die Teilnahme beim wöchentlichen Badmintontraining oder Schachclub, bei Chorproben in der Kirche zuzuhören, an Veranstaltungen wie einem Konzert oder dem Entfachen der Weihnachtsbaumbeleuchtung zusammen mit den Einheimischen teilzunehmen, oder auch Aktivitäten wie einen Nachmittag mit Weihnachtsbäckerei für junge Menschen anzubieten.
Dieser Ansatz ermöglicht es uns, lokale Prozesse zu identifizieren, an die unsere Forschung anknüpfen kann, wo sich lokale Anliegen mit unserer Forschung überschneiden, um somit einen Mehrwert zu schaffen. Vom ersten Tag an wurden wir von den Menschen in Tasiilaq freundlich empfangen. Sogar mit der Installation des Sensors konnten wir mit einigen Leuten in Kontakt treten, die stets neugierig waren, mehr über unsere Forschung zu erfahren. Wir hatten das Glück, dass uns bei Bedarf stets Hilfe angeboten wurde, um uns in einer für uns neuen und ungewohnten Umgebung zurechtzufinden. Zum Beispiel bei der Einrichtung des Schneesensors, von der Standortsuche, über die Installation und Inbetriebnahme, bis hin zu auftretenden Problemen mit der Funktion des Sensors. Kontinuierlich bieten und die Menschen gerne ihre Hilfe an, sowohl bei Routineaufgaben also auch unerwarteten Herausforderungen.
Warum ist es so wertvoll sich die Zeit zu nehmen? Wir wollen versuchen einen Einstieg und Einblick in eine lokale Gesellschaft zu erhalten und die Leute vor Ort nicht überrennen. Zeit mit Menschen zu verbringen und Teil des alltäglichen Lebens zu sein, ermöglicht es uns, die Komplexität des Lebens in Tasiilaq zu verstehen und zu erkennen, wo unsere Forschung für die beteiligten Menschen wertvoll sein könnte. Schließlich sind es die ForscherInnen hinter dem Projekt, als Menschen, die den Einhemischen Tag für Tag begegnen. Dies kann beim freundlichem Grüßen auf der Straße, bei Meetings, informellen Gesprächen oder unerwarteten Begegnungen sein.
Nachdem wir nun gemeinsam in Grundstein gelegt haben, werden wir unsere individuellen Perspektiven auf die vier Wochen, die wir zusammen in Tasiilaq verbracht haben, erzählen. Dies ist der Beginn unserer Reise, ein Zwischenstand zur Initiierung einer Zusammenarbeit. Das, von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften geförderte, Projekt Snow2Rain läuft noch bis Mitte 2023.

Die Gesichter hinter Snow2Rain – Anna Burdenski und Jorrit van der Schot.
Medieninformation
Verfasst von Anna Burdenski und Jorrit van der Schot
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© Bilder von Anna Burdenski und Jorrit van der Schot
Die Aktivitäten von Snow2Rain können auch über Facebook, Instagram oder ihre Webseite verfolgt werden.
Über die wissenschaftlichen AutorInnen
Anna Burdenski, Doktorandin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien
Jorrit van der Schot, Doktorand in der Schneeklimatologie am Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz