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Über den Klimawandel in der Arktis und seine Folgen für Natur und Mensch wird in den Medien viel berichtet. Viel weniger bekannt ist, dass der Klimawandel in der Arktis besonders ausgeprägt ist und die BewohnerInnen der mittleren Breiten unmittelbar beeinflusst. Dieser Beitrag soll die besondere Bedeutung der Arktis für die mittleren Breiten verständlich machen.

Arktische Verstärkung

Der Klimawandel zeigt sich in der Arktis besonders deutlich in Form steigender Temperaturen. Einzelne Studien zeigen für die letzten Jahrzehnte einen drei- bis viermal höheren Temperaturanstieg als im globalen Mittel, man spricht von der Arktischen Verstärkung. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass die Erwärmung in der Arktis regional sehr unterschiedlich ausfällt und insbesondere im Winter für die Barents- und Karasee-Region besonders ausgeprägt ist, während für andere Regionen wie z.B. Grönland und für andere Jahreszeiten ein geringerer Anstieg zu verzeichnen ist. Die arktische Verstärkung steht in Wechselwirkung mit dem starken Rückgang des arktischen Meereises, der verringerten Schneedeckendauer und dem verstärkten Abschmelzen der Gletscher bzw. des grönländischen Eisschildes.

„Der Klimawandel zeigt sich in der Arktis besonders deutlich in Form steigender Temperaturen. Einzelne Studien zeigen für die letzten Jahrzehnte einen drei- bis viermal höheren Temperaturanstieg als im globalen Mittel.“

Wolfgang Schöner

Einige physikalische Grundlagen ermöglichen ein besseres Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Temperaturänderungen und Veränderungen der Kryosphäre. So besagt die Clausius-Clapeyron-Gleichung, dass eine wärmere Atmosphäre mehr Wasserdampf enthalten kann, wobei dieser Zusammenhang sogar exponentiell ist. Wasserdampf ist aber ein sehr wirksames Treibhausgas, das die Erwärmung verstärkt, wobei Wasserdampf die Eigenschaft hat, viel kürzer in der Atmosphäre zu verbleiben als CO2. Ein weiterer wichtiger Effekt ergibt sich aus der extrem unterschiedlichen Reflexion der Sonnenstrahlung auf schneebedecktem Boden im Vergleich zu schneefreiem Boden oder noch ausgeprägter auf einer Wasseroberfläche (ca. 90% Reflexion durch Schnee gegenüber 10% Reflexion durch Wasser). Dies hat enorme Auswirkungen auf die Energieabsorption der Sonnenstrahlung und damit auf die Erwärmung der Atmosphäre. Aber auch die Veränderung der Wolken ist ein wichtiger Prozess, da einerseits eine feuchtere Atmosphäre mehr Wolken bilden kann, andererseits eine wärmere Atmosphäre das Kondensationsniveau in größere Höhen verlagert. Eine verstärkte Wolkenbildung kann bedeuten, dass mehr Sonnenlicht von den Wolken reflektiert wird oder dass mehr Energie in Form von Infrarotstrahlung aus der Atmosphäre zur Erde zurückgestrahlt wird. Mit dem Thema Wolken befindet man sich aber schon mittendrin in den großen Unsicherheiten und den derzeit großen Forschungsfragen und Herausforderungen der Klimawissenschaften.

Arktische Verstärkung; die Abbildung zeigt die Zunahme der Jahresmitteltemperatur in der gesamten Arktis (Breitenzone 66°N bis 90°N) im Vergleich zu Grönland und dem globalen Mittel. (Daten: HadCRUT data set (Morice et al. 2021) und CRU TS (Harris et al. 2020), aus Shahi 2024); die Arktische Verstärkung zeigt sich in der deutlich stärkeren Zunahme der Temperatur in der Arktis im Vergleich zur globalen Temperatur seit ca. 1980.

Relevanz der Arktis für unser Wetter

Unser Wettergeschehen in Österreich ist geprägt vom Wechselspiel wandernder Tief- und Hochdruckgebiete. Die Bildung der Tief- und Hochdruckgebiete ist an das Zusammentreffen von kalter Luft im Norden und deutlich wärmerer Luft im Süden gebunden. Der daraus resultierende Temperaturunterschied ist regional sehr ausgeprägt und wird als Polarfront bezeichnet. Sie ist auch mit einem starken Dichteunterschied der Luft und damit mit einem Luftdruckunterschied und starken Winden verbunden – dem Jetstream, der sich im Bereich der besonders ausgeprägten Temperaturgegensätze in etwa 10 km Höhe befindet. Der Jetstream ist der „Wettermotor“ in unseren Breiten und (mit)entscheidend für die Entstehung und Steuerung von Hoch- und Tiefdruckgebieten.

Der Temperaturgegensatz zwischen der Arktis und den mittleren Breiten wird auch durch die Arktische Oszillation (AO) bzw. indirekt durch die Nordatlantische Oszillation (NAO) beschrieben. Die Auswirkungen der sich ändernden NAO auf Grönland wurden von Silva et al. (Neue Hinweise auf eine wärmere und feuchtere Atmosphäre über dem Grönländischen Eisschild in einem sich ändernden Klima) und für die bodennahen Temperaturinversionen in der Studie von Shahi et al. (Regional Variability and Trends of Temperature Inversions in Greenland) untersucht.

Zusammenwirken von Polarfront-Jetstream, Polarwirbel (Polar Vortex) und Arktischer Verstärkung. Wenn der arktische Polarwirbel besonders stark ausgeprägt und stabil ist (linke Abbildung), dann verlagert sich der Jetstream eher Richtung Nord, der Nord-Süd Austausch ist dabei eher unterbunden. Wenn der Vortex schwächer ist (eventuell sogar aufgespalten ist, rechte Abbildung), wird der Jetstream oft wellig. Warme Luft kann dann eher Richtung Nord und kalte Luft Richtung Süd strömen.

Relevanz des arktischen Klimawandels für uns

Erwärmt sich die Arktis schneller als die mittleren Breiten, schwächt sich der Nord-Süd-Temperaturgradient ab und damit, wie mehrere Studien zeigen, auch der Jetstream. Allerdings sind diese Aussagen noch Gegenstand der Forschung und andere Studien können den Effekt nicht belegen. Klar ist jedenfalls, dass sich bei einer Abschwächung des Jetstreams kalte Luft aus dem Norden und warme Luft aus dem Süden leichter in Nord-Süd-Richtung bewegen können. Für unser Wettergeschehen zeigen sich solche Effekte bereits durch überraschende Kaltlufteinbrüche aus dem Norden, blockierende Hochdrucklagen, aber auch ausgeprägte Trockenperioden oder möglicherweise Starkniederschläge. Vor allem bei den letztgenannten Ereignissen versucht die Forschung, die Rolle des veränderten Jetstreams besser zu verstehen.

Damit bleiben aber ganz wesentliche Prozesse der klimabedingten Umweltveränderungen in der Arktis noch unerwähnt. Der arktische Permafrost speichert riesige Mengen an Kohlenstoff, die durch den Klimawandel zunehmend in Form von CO2 oder CH4 freigesetzt werden. Dies treibt den Klimawandel massiv an. Durch das Abschmelzen der Gletscher und des grönländischen Eisschildes steigt der Meeresspiegel. Davon sind vor allem die Küstenregionen betroffen, indirekt aber auch küstenferne Regionen wie Österreich durch mögliche Migrationsbewegungen. Man sieht, die Arktis liegt in ihrer Relevanz direkt vor unserer Haustür.

Medieninformation

Verfasst von Wolfgang Schöner.
Layout und Satz durch das APRI-Medien Team.
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Titelbild: © Wolfgang Schöner.

Über den wissenschaftlichen Autor

Wolfgang Schöner, Professor für Physische Geographie an der Universität Graz und Direktor des APRI

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