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Forscher des APRI an der Universität Graz haben neue Hinweise auf eine anthropogene Erwärmung jenseits der natürlichen Klimavariabilität über dem Grönländischen Eisschild gefunden.

Die Forschergruppe der Universität Graz und die APRI-Mitglieder Tiago Silva, Jakob Abermann, Sonika Shahi und Wolfgang Schöner veröffentlichten kürzlich in der Zeitschrift „The Cryosphere Discussions“ eine regionale Charakterisierung der Veränderungen innerhalb von Jahrzehnten der großräumigen atmosphärischen Strukturen im Nordatlantik.

Diese Veränderungen haben sich auf die Komponenten des Energiehaushalts an der Oberfläche ausgewirkt, wie z.B. die Erwärmung und den Feuchtegehalt an der Oberfläche und in den höheren Schichten der Atmosphäre über dem Grönländischen Eisschild. Die Studie wurde auch in Zusammenarbeit mit dem Institut für Meeres- und Atmosphärenforschung Utrecht der Universität Utrecht durchgeführt.

Klimaindizes geben Auskunft über Klimavariabilität

Damit die vorherrschenden atmosphärischen Zirkulationsmuster über Grönland untersucht werden können, verwendeten die WissenschaftlerInnen Indizes für Klimaschwankungen wie den North Atlantic Oscillation Index (NAO) und den Greenland Blocking Index (GBI).

Indizes werden mathematisch abgeleitet, um die (interne) Klimavariabilität über einer Region (oder mehreren Regionen) der Erde zu beschreiben. Da die atmosphärischen Variablen stark miteinander verknüpft sind, können Indizes mehrere Anomalien im Klimasystem quantifizieren. Der NAO ist beispielsweise ein Maß für die Druckdifferenz in der Atmosphäre, das Aufschluss über die Stärke des polaren Jetstreams (siehe Abbildung unten) und die Entwicklung von Stürmen gibt. Der GBI misst die Dicke der unteren Troposphäre (ca. 5 km ü.d.M.) über Grönland und gibt Aufschluss über die Geschwindigkeit der oberflächennahen Winde. Es gibt jedoch noch andere Faktoren, die das Klimasystem beeinflussen und die von den Indizes nicht vollständig erfasst werden.

Indizes sind in der Regel einheitenlos und werden in positive, neutrale und negative Phasen eingeteilt. Der NAO beruht auf dem Azorenhoch und dem isländischen Tiefdrucksystem: Eine positive Phase (+NAO) zeigt an, dass diese beiden großräumigen Systeme im Einklang stehen und die Westströmung im Nordatlantik verstärken, während die negative NAO-Phase (-NAO) eine gegenläufige Verschiebung dieser großräumigen Systeme in der Region darstellt, mit einer Abschwächung der Westströmung im Nordatlantik und einer Verstärkung des meridionalen Wärme- und Feuchtigkeitstransports in Richtung Arktis (Energietransport von den niederen Breiten in die hohen Breiten). Ein positiver GBI (+GBI) deutet andererseits auf eine Verdickung der unteren Troposphäre über Grönland hin, was typischerweise auf antizyklonale Bedingungen in der Nähe von Grönland hindeutet (markiert als orangefarbener Bereich in der Abbildung unten), während eine negative Phase (-GBI) darauf hinweist, dass die untere Troposphäre über Grönland relativ dünn und überwiegend zyklonal ist.

Konzeptionelles Schema des Polarwirbels. Die atmosphärische Zirkulation im linken Schema hält die kalte Luft in der Arktis, und sie ist allgemein durch eine +NAO- oder -GBI-Phase gekennzeichnet. Das rechte Schema zeigt den dynamischen Austausch von Wärme und Feuchtigkeit zwischen mittleren und hohen Breiten. Er ist häufig durch -NAO oder +GBI gekennzeichnet. Der zart orangefarbene Bereich markiert Grönland. (von NOAA)

Zusätzlich zu diesen Klimaschwankungsindizes verwendeten die WissenschaftlerInnen den vertikal integrierten atmosphärischen Wasserdampf (gesamtes ausfallbares Niederschlagswasser in der Atmosphärensäule) über Grönland. Auf der Grundlage eines neuen Ansatzes konnten sie die großräumigen Zirkulationsmuster über Grönland kategorisieren. Die Kategorisierung von großräumigen Zirkulationsmustern ist nicht neu – NAO und GBI werden weithin mit demselben Ziel der Kategorisierung wichtiger atmosphärischer Muster (z. B. Temperatur und Niederschlag) verwendet. Da NAO und GBI jedoch durch verschiedene atmosphärische Variablen in verschiedenen Regionen quantifiziert werden, sind die Auswirkungen und die Interpretation dieser beiden Indizes getrennt voneinander etwas unterschiedlich. Darin hebt sich die Klassifizierungsmethode dieser Studie von den bisherigen Studien ab. Die WissenschaftlerInnen nannten diese Klassifizierung den Nordatlantischen Einfluss über Grönland (NAG). Im Gegensatz zu GBI und NAO unterscheidet sich die NAG Klassifikation von Klassifizierungen auf der Grundlage von Perzentilschwellen (Perzentile zerlegen eine Verteilung in 100 gleich große Teile). Die positive Phase der NAG Klassifizierung (+NAG) ist mit einer anomal dicken unteren Troposphäre (+GBI) und einer anomal negativen atmosphärischen Oberflächendruckdifferenz über dem Nordatlantik (-NAO) und einem hohen Gehalt an Wasserdampf in der Atmosphäre verbunden. Die negative Phase der NAG Klassifizierung (-NAG) entspricht ähnlichen Bedingungen wie -GBI und +NAO, mit anomal niedrigen Wasserdampfmengen in der Atmosphäre. Zur Bewertung der thermodynamischen Auswirkungen auf die Oberflächenenergiekomponenten (z.B. kurzwellige solare Einstrahlung die auf der Oberfläche auftrifft) in Abhängigkeit von der NAG-Phase wurden 62 Jahre (1959-2020) atmosphärischer und Oberflächenvariablen über dem Grönländischen Eisschild aus einem hochauflösenden (5,5 km) regionalen Klimamodell gewonnen.

Veränderungen der Winter- und Sommertemperatur (in 2 m Höhe) in den letzten Jahrzehnten (1991-2020) im Vergleich zum früheren Zeitraum (1959-1991). Summit Station und South Dome sind als große und kleine Dreiecke markiert. Die gestrichelten Regionen kennzeichnen Gebiete mit einem Konfidenzniveau von mehr als 90 % (d. h., dass das Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 90 % zuverlässig ist). Die Temperaturveränderungen in den angrenzenden Meeresgebieten sind ebenfalls als farbige Zahlen dargestellt. (aus Silva et al. 2022)

Die Studie beginnt mit einer Einführung in die NAG Klassifizierung und einem Vergleich mit NAO und GBI. Unter Verwendung statistischer Methoden wird gezeigt, dass die NAG Klassifizierung in der Lage ist, die Beziehungen zwischen atmosphärischen (und Oberflächen-) Variablen im Winter und Sommer unter den vorherrschenden antizyklonalen Bedingungen in der Akkumulationszone des Grönländischen Eisschildes (dem Gebiet, in dem mehr Masse gewonnen als verloren wird) besser zu erfassen. In der sommerlichen Ablationszone (dem Gebiet, in dem mehr Masse verloren als gewonnen wird) ist die NAG Klassifizierung ähnlich gut wie NAO oder GBI allein.

Angesichts der Tatsache, dass das Ausmaß des Massenverlustes an der Oberfläche des Grönländischen Eisschildes seit den 1990er Jahren zugenommen hat, beschlossen die WissenschaftlerInnen zu untersuchen, wie sich meteorologische Variablen wie die Lufttemperatur in den einzelnen NAG-Phasen der letzten Jahrzehnte (1991-2020) im Vergleich zum frühen Zeitraum zwischen 1959 und 1990 verändert haben. 

Veränderungen der jahreszeitlichen atmosphärischen Einflüsse

Durch die NAG-Klassifizierung konnte festgestellt werden, dass alle atmosphärischen Strukturen im Winter und Sommer wärmer und feuchter geworden sind. Das Ausmaß der Erwärmung und die räumliche Ausdehnung sind mit der Jahreszeit und der NAG-Phase verknüpft. Der Winter hat sich in den nördlichen Teilen Grönlands unter +NAG um bis zu 6°C erwärmt, mit ähnlichen Erwärmungsmustern unter entgegengesetzter NAG-Phase.

Obwohl die Lufttemperatur im Sommer nicht so stark gestiegen ist wie im Winter, haben sich auch andere Faktoren die zur Oberflächenerwärmung beitragen, verändert. Zum Beispiel hat die kurzwellige auf der Oberfläche auftreffende Sonnenstrahlung in den meisten NAG-Phasen und Ablationszonen zugenommen. Die Gründe für diesen Anstieg sind jedoch regional unterschiedlich. Während der Wolkenanteil in den südlichen Teilen Grönlands unter +NAG abgenommen hat, sodass mehr Sonnenstrahlung die Oberfläche erwärmen konnte, hat die Sonnenstrahlung in den nördlichen Teilen nicht zugenommen, sondern die Oberfläche ist dunkler geworden, was eine stärkere Absorption der Sonnenstrahlung fördert. Zusätzlich zu den Veränderungen der kurzwelligen Strahlungsbilanz haben die oberflächennahen Windgeschwindigkeiten in den meisten Regionen und unabhängig von der NAG-Phase deutlich zugenommen. Die turbulente Durchmischung der oberflächennahen Luft ist ebenfalls einer der Faktoren, die zur Erwärmung der Schnee-/Eisoberfläche beitragen. Die Ursachen für den Anstieg der Windgeschwindigkeiten sind noch unklar. Allerdings könnte das nicht mehr so häufig auftretende und dünnere Meereis in der Nähe der nördlichen Grönländischen Küsten hierbei eine Rolle spielen, da die Oberflächendruckunterschiede zwischen dem Eisschild und dem angrenzenden Meer zu einer Zunahme der Windgeschwindigkeit führt.

Der anthropogene Klimawandel

Die stärkere Erwärmung der Arktis im Vergleich zu den mittleren Breiten wird als „Arctic Amplification“ bezeichnet. Die „Arctic Amplification“ wurde eingehend untersucht, um ihre Ursachen, Rückkopplungen und Einflüsse in der Region zu verstehen. Bislang ist diese Studie die erste, welche die Erwärmung der Oberflächenenergiekomponenten über dem Grönländischen Eisschild in Abhängigkeit von der atmosphärischen Struktur untersucht. Dennoch gehen die Haupttreiber der „Arctic Amplification“ über großräumige atmosphärische Prozesse hinaus, da die dazu führenden Mechanismen komplex und miteinander verknüpft sind. Dies macht es schwierig, den anthropogenen und den natürlichen Strahlungsantrieb (Maß für die Änderung der Energiebilanz) quantitativ zu unterscheiden. Ungeachtet dessen ist die Auswirkung der anthropogenen Treibhausgasemissionen auf die Erwärmung der Atmosphäre und die Veränderung der Energiebilanz des Grönländischen Eisschildes heute unbestritten.

Medieninformation

Verfasst von Tiago Manuel Ferreira da Silva
Redaktion und Layout vom APRI-Medienteam
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Header Foto: © Christoph Ruhsam, www.pure-landscapes.net

About the scientific author

Tiago Manuel Ferreira da Silva, Universität Graz, Österreich
Begutachtungsstatus: Die Publikation (Preprint) wird derzeit für die Zeitschrift  The Cryosphere begutachtet.

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