Gina Moseley erforscht die nördlichsten Höhlen der Welt auf der Suche nach vergangenen Hinweisen für eine wärmere und niederschlagsreichere Zukunft in der Arktis.
Am ersten Abend der APRI-Jahreshauptversammlung 2022 in Innsbruck hat APRI-Mitglied Prof. Gina Moseley packend über ihre Expeditionen und Entdeckungen in den entlegensten und wildesten Ecken Grönlands berichtet. Lesen Sie eine Zusammenfassung über sieben Jahre Höhlenexpeditionen und Paläoklimaforschung in Nordostgrönland.

Prof. Moseley und ihre Kollegen untersuchen einige der vielen Höhlenmineral-Proben, die sie geborgen haben (© Robbie Shone).
Aus Wasser wird Gestein
Moseley nutzt Höhlenmineralien, sog. Speleotheme, wie Stalagmiten und Stalaktiten als geologisches Klimaarchiv. Während das Wasser unaufhörlich von der Höhlendecke tropft, nimmt es die Bestandteile der Karbonatminerale mit, aus denen die Höhlenmineralien bestehen – Jahr für Jahr und Schicht für Schicht. Man könnte sagen, Höhlenmineralien sind Niederschlag, der zu Stein geworden ist.
Nach mehreren Jahren Speleothem-Forschung in aller Welt wandte Gina Moseley ihre Aufmerksamkeit schließlich Richtung Norden. Wie so viele große Abenteuer begann auch das Grönlandhöhlen-Projekt in einer Kneipe. Ein Kollege und Höhlenfreund wies sie auf einen kurzen Absatz in einem militärischen Expeditionsbericht aus den 1960er Jahren hin, worin Höhlenmineralien in der Nähe von Centrum Sø in Nordostgrönland erwähnt wurden. Nach jahrelanger Suche nach Geldgebern fand sich Prof. Moseley schließlich eines Tages im Jahr 2015 an Bord eines kleinen Propellerflugzeugs auf dem Weg über die grönländische See wieder.
Karte von Nordostgrönland mit den Plätzen des 2019 Greenland Caves Project (Quelle: G. Moseley)
Eine arktische Wüste
Die meisten Menschen assoziieren Nordost-Grönland wohl in erster Linie mit Schnee und Gletschern. Tatsächlich sind aber große Gebiete aufgrund der extrem geringen Niederschlagsmengen eisfrei. Stattdessen findet man eine polare Wüstenlandschaft aus Kalkstein, fast frei von jeglicher Vegetation. Die Geologie der Region geht bis auf das frühe Paläozoikum vor fast 400 Millionen Jahren zurück, lange bevor das Eis kam, und als Grönland noch mit Teilen von Europa und Nordamerika verbunden war. Damals bedeckte ein flacher Ozean diese Region. Die Gesteine sind voll von Fossilien der Lebewesen, die damals den Meeresboden bewohnten.
Erst viele Millionen Jahre später hob sich die Erdkruste. Die Berge von Grönland entstanden und mit ihnen kamen die Niederschläge, die sich langsam ins Gestein fressen, und so die Höhlen formten, die Grottedalen – dem Tal der Höhlen – den Namen gaben. Diese Höhlen nutzt Moseley nun für ihre Forschung.
Expeditionen
Die Expedition 2015 war ein Erfolg. Trotz der äußerst schwierigen Logistik (die Exploration erfolgte zu Fuß und ohne Hubschrauberunterstützung) gelang es dem kleinen Team, das Moseley zusammengestellt hatte, viele bisher unbekannte Höhlen zu erforschen und auch die in dem Bericht aus den 1960er Jahren beschriebenen Orte erneut zu besuchen, die der Auslöser für das gesamte Projekt waren. Moseley konnte wertvolle Höhlenmineral-Proben sammeln – die ersten ihrer Art in ganz Grönland.
Expedition „Greenland Caves Project“ 2019 (© Robbie Shone)
„Die meisten der von uns gesammelten Proben entstanden während einer ungewöhnlich warmen Zeit in der Klimageschichte der Erde vor etwa 400.000 Jahren.“
Gina Moseley
Diese Erfolgsgeschichte ebnete den Weg für zwei weitere Expeditionen in den Jahren 2018 und 2019. Diesmal, ausgestattet mit wesentlich besseren finanziellen Mitteln, war es möglich, weit über den Aktionsradius der Expedition von 2015 hinaus in die Canyons von Grottedalen vorzudringen. Ein größeres, interdisziplinäres Team sowie verbesserte Ausrüstung zur Probennahme ermöglichten es Moseley, zahlreiche unerforschte Höhlen genau zu kartieren und Bohrkerne aus Höhlenmineral-Sequenzen zu gewinnen.

Moseley und ihr Team klettern den steilen und tückischen Zustieg zu einer Höhle in den steilen Canyons von Grottedalen hinauf (© Robbie Shone)
3D Animation einer der entdeckten Höhlen. Für weitere Animationen siehe hier (© Greenland Caves Project)
Ein wärmerer und feuchterer Ort
Im Labor können die Wissenschaftler nicht nur genau feststellen, wann sich die Höhlenmineralien gebildet haben, sondern auch, wie die Umgebung der Höhlen damals ausgesehen haben könnte. Es ist nämlich eine kleine Überraschung an und für sich, dass es in Grönland überhaupt Höhlenmineralien gibt. Heute ist Grottedalen eine polare Wüste mit Permafrostboden und viele Höhlen sind vollständig mit Eis gefüllt. Unter solchen klimatischen Bedingungen mit wenig flüssigem Wasser ist es praktisch unmöglich, dass sich Höhlenmineralien bilden.
Moseley erklärt, dass sich die meisten der Proben während einer ungewöhnlich warmen Zeit in der Klimageschichte der Erde vor etwa 400.000 Jahren gebildet haben. Wissenschaftler bezeichnen diesen Zeitraum als marine Isotopenstufe 11 – eine so genannte Super-Warmzeit. Allerdings ist über diese Zeit in Grönland nicht viel bekannt. Die Eisbohrkerne, die für unser Verständnis des arktischen Klimawandels so wichtig sind, enden bei gerade einmal 130.000 Jahren.
Prof. Moseleys Höhlenmineral-Proben sind bisher eines der wenigen Fenster in die Tiefen der grönländischen Klimageschichte.

Eine Höhle mit zerbrechlichsten Eisgebilden. In der Vergangenheit war es in den Höhlen wahrscheinlich deutlich wärmer als heute (© Robbie Shone).
Prof. Moseley wurde kürzlich mit dem Rolex Award for Enterprise 2021 ausgezeichnet und wird im Sommer 2023 erneut eine Höhlenexpedition leiten. Diesmal wird sie ihr Team in den äußersten Norden Grönlands führen, wo sie hofft, weitere Höhlenmineral-Proben in noch abgelegeneren Höhlen zu finden, die bisher noch von keinem Menschen besucht worden sind.
Medieninformation
Verfasst von Gina Moseleys Teammitglied Paul Töchterle.
Satz und Layout vom APRI Medienteam.
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Alle Fotos: © Robbie Shone
Über die wissenschaftliche Autorin
Gina Moseley, Universität Innsbruck, Österreich
Lesen Sie mehr über das Greenland Caves Project und den Rolex Award.