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Am 16. Oktober kamen APRI-Forschende aus verschiedensten Disziplinen im Naturhistorischen Museum in Wien zum Polar Talk #15 zusammen, um den kürzlich veröffentlichten Arktischen Permafrost-Atlas zu präsentieren. Dieses hochaktuelle und sehr anschauliche Buch - ein Forschungsergebnis eines von der EU finanzierten H2020-Projekts namens Nunataryuk - konsolidiert das verfügbare Wissen über Permafrost-Themen mit großartigen Karten, Worten, Kunst und Geschichten.

Auf 156 Seiten mit einzigartigen Karten, Illustrationen, Drohnenaufnahmen und Fotografien kann man in die Welt des Permafrosts einzutauchen und einen Blick auf das Leben in den arktischen Gemeinden werfen. Die Auswirkungen des gegenwärtigen und zukünftigen Auftauens des Permafrostes werden aus einer ganzheitlichen Perspektive diskutiert und die neuesten Erkenntnisse der Natur- und Sozialwissenschaften miteinander verknüpft. Der Atlas steht unter www.grida.no/publications/998 zum kostenlosen Download bereit. Im Folgenden stellen wir eine Zusammenfassung der präsentierten Themen zusammen.

Was ist Permafrost, wie sieht er aus, und wo kann man ihn finden?

Permafrostböden sind Böden oder Sedimente, die mindestens zwei Jahre lang durchgehend gefroren bleiben. Diese dauerhaft gefrorenen Böden sind vor allem in Regionen mit kaltem Klima zu finden. Etwa 15 % der nördlichen Hemisphäre sind von Permafrost bedeckt, darunter große Gebiete in Alaska, Kanada, Grönland und Sibirien. Permafrost kommt auch in Hochgebirgsregionen vor, z. B. auf dem tibetischen Plateau, in den Anden oder in den Alpen. In der Antarktis gibt es nur wenige Permafrostgebiete, meist in den eisfreien Regionen des Kontinents und auf den subantarktischen Inseln.

Permafrost – Eine globale Perspektive (verfügbar unter: https://www.grida.no/resources/16350).

Wie viele Menschen leben auf Permafrostböden? Und wo und wie?

Die überwiegende Mehrheit der „Permafrostbewohner*innen“ lebt in der Russischen Föderation – mit kleineren Populationen in den USA (insbesondere Alaska), Kanada, Kalaallit Nunaat (Grönland) und wesentlich geringerer Teil in der skandinavischen Arktis.

Leben auf gefrorenem Boden. (verfügbar unter: https://www.grida.no/resources/16268)

„Als einer der größten Kohlenstoffspeicher (~1600 Gt) lagert der Permafrost mehr als doppelt so viel organischen Kohlenstoff wie die Atmosphäre. Er fungiert als unser globaler Gefrierschrank und bewahrt organisches Material, das sich über Tausende von Jahren angesammelt hat, weil es sich nicht zersetzen kann.“

– Victoria Martin

Welche Rolle spielt der Permafrost für die Entwicklung des globalen Klimas? Was haben Permafrost-Mikroben mit dem Auftauen des Permafrosts zu tun? Wie viel Permafrost wird bei fortgesetzter Klimaerwärmung verloren gehen?

Als einer der größten Kohlenstoffspeicher (~1600 Gt) lagert der Permafrost mehr als doppelt so viel organischen Kohlenstoff wie die Atmosphäre. Er fungiert als unser globaler Gefrierschrank und bewahrt organisches Material, das sich über Tausende von Jahren angesammelt hat, weil es sich unter den vorherrschenden Bedingungen nur sehr langsam zersetzt. Mit fortschreitender Klimaerwärmung und dem Auftauen des Permafrosts steigt jedoch die Aktivität der Permafrostmikroben, die das organische Material zersetzen (fressen) und Kohlendioxid, Methan oder Lachgas in die Atmosphäre abgeben (Atmung).

Allerdings wird die Klimaerwärmung durch diese Freisetzung von Treibhausgasen noch weiter beschleunigt. Wir wissen zwar, dass dieser Mechanismus, die so genannte Permafrost-Kohlenstoff-Klima-Rückkopplung, für die Entwicklung unseres künftigen Klimas von großer Bedeutung ist, aber seine Geschwindigkeit und sein Ausmaß bleiben eine der größten Unsicherheiten in den Klimamodellen. Im Oktober 2024 veröffentlichte das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) einen aktualisierten Synthesebericht, aus dem hervorging, dass der globale Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts auf ein verheerendes Niveau von 2,7 Grad Celsius zusteuert, was den Verlust von Permafrost in den gelben und hellroten Regionen bedeutet.

Rückläufige Permafrost-Ausdehnung. Karte, die den modellierten Rückgang der Permafrostausdehnung bei verschiedenen Erwärmungsszenarien zeigt. (verfügbar unter: https://www.grida.no/resources/16284).

Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Permafrost, der Stabilität der Infrastruktur und kulturellem Erbe?

Arktische Permafrostlandschaften zeichnen sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Landschaftsmerkmale aus, wobei Pingos zu den typischsten Formen gehören. Die Eiskernhügel heben sich von den flachen Tundra-Landschaften ab, wie zum Beispiel in der Küstenregion der kanadischen Nordwest-Territorien in der Nähe von Tuktoyaktuk. Diese Region weist mit 1.350 gezählten Pingos im Mackenzie-Delta die höchste Konzentration an Pingos in der Welt auf. Das Pingo Canadian Landmark ist ein geschütztes Gebiet von 16 Quadratmetern, das acht Pingos in der Nähe von Tuktoyaktuk sowie den höchsten Pingo Kanadas, Ibyuk, mit einer Höhe von 49 Metern umfasst. Diese Formationen sind in eisreichen Tundragebieten entstanden. Diese Art von Pingos bildet sich in alten, ausgetrockneten Seen, in denen unterirdisch verbliebende Wasserkammern durch die Permafrosttransgression nach oben gedrückt werden. Beim Gefrieren dehnt sich das Volumen dieser Wasserkörper aus, und Erde und Sedimente werden nach oben geschoben, wodurch diese hügelförmige Erscheinung entsteht. Der Ibyuk-Pingo ist etwa 1000 Jahre alt und wächst noch immer, zeigt aber auch Anzeichen von Abrutschen und Degradation. Pingos sind ein wichtiges Kulturlandschaftsmerkmal und werden seit Generationen in der Inuvialuit-Region als Navigationshilfe, für die Karibujagd oder den Fang von Belugawalen genutzt. In diesem Gebiet bedroht die enorme Küstenerosion aufgrund der Permafrostdegradation lokale Gemeinden und die Pingos.

Ein weiteres typisches Landform-Merkmal des bodeneisreichen Permafrosts sind so genannte Eiskeil-Polygone, wie sie zum Beispiel auf der Paulatuk-Halbinsel in den kanadischen Nordwest-Territorien zu finden sind. Auf dieser Halbinsel, die auf einer Schwemmlandterrasse am Eingang des Amundsen-Golfs liegt, leben 300 Einwohner der Inuvialuit, einer Gemeinschaft, die hauptsächlich von traditionellen Subsistenzaktivitäten wie der Karibujagd und dem Fischfang lebt. Eiskeile im Boden entstehen durch zyklische Gefrier- und Auftauvorgänge, gefolgt von wiederholtem Aufbrechen des Bodens durch Frost und Wasserinfiltration, und das in Zeiträumen von mehreren Jahrhunderten. Im Sommer, wenn die Eiskeile schmelzen, bildet sich ein Netz von wassergefüllten Gräben. Bei Untersuchungen in diesem Gebiet wurde eine Zunahme der Anzahl und der Oberfläche dieser Wassergräben festgestellt, die durch die Degradation des Permafrostes und die Klimaerwärmung verursacht wird. Aber auch der Einfluss der menschlichen Infrastrukturen spielt eine Rolle. Die Landebahn begünstigt die Ansammlung und Speicherung von Wasser an ihren Rändern. Außerdem neigt der Schnee dazu, sich entlang von Bauwerken anzusammeln, was die Degradierung des Permafrosts durch dessen temperatur-isolierenden Effekt im Winter verstärkt. In diesen Siedlungen sind die Wohnhäuser und Gebäude größtenteils auf Eiskeil-Polygonen gebaut. Die Degradierung des Permafrosts und der Eiskeile führt daher zu Bodenabsenkungen und bedroht die Stabilität der Infrastruktur. In Paulatuk ist die Küstenerosion eine zusätzliche Bedrohung für die Infrastruktur, die sich in den letzten Jahrzehnten deutlich beschleunigt hat. An der Küste in der Nähe der Landebahn wurden beispielsweise Erosionsraten von bis zu 0,9 Metern pro Jahr festgestellt. In Verbindung mit Stürmen und dem Anstieg des Meeresspiegels führt die Küstenerosion zu Überschwemmungen in niedrig gelegenen und absinkenden Gebieten in Paulatuk. Die Gemeinde muss sich anpassen und Strategien entwickeln, um den Gefahren der Küstenerosion und der Permafrostdegradation in Paulatuk zu trotzen.

Paulatuk-Halbinsel, Nordwest-Territorien, Kanada (verfügbar unter: https://www.grida.no/resources/16329).

Der auftauende Permafrost in der Arktis birgt erhebliche Risiken für die Infrastruktur, vor allem, wenn sich das Klima weiter erwärmt. Die Küsteninfrastruktur in der Arktis ist sowohl mit dem Auftauen des Permafrosts als auch mit der zunehmenden Küstenerosion konfrontiert, was die Sicherheit der Menschen in diesen Gebieten bedroht. Im Jahr 2021 wurde die erste pan-arktische Bewertung der auf Permafrost gebauten Küsteninfrastruktur mit Hilfe hochauflösender Satellitendaten durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass Russland den größten Infrastruktur-Fußabdruck hat, vor allem für Öl und Gas, gefolgt von Kanada und den USA. Dieser Fußabdruck ist seit 2000 um 15 % gewachsen, was vor allem auf die zunehmende Erschließung von Öl- und Gasvorkommen zurückzuführen ist.

Die Autonome Region der Yamalo-Nenets, ein wichtiges Gasfördergebiet in Russland, ist ein Beispiel für diese Herausforderungen, da die Infrastruktur durch steigende Bodentemperaturen und Erdrutsche, auch „thaw slump“ genannt, instabil wird. „Thaw slumps“ treten als große, gekrümmte Vertiefungen entlang von Küsten, Flussufern, Seeufern und Berghängen auf und können mehrere hundert Meter breit sein. Mit der Erwärmung des Klimas nimmt die Aktivität dieser „thaw slumps“ ebenso zu wie die Mobilisierung von Kohlenstoff. Diese Erosionsevents können die Mobilität der einheimischen Bevölkerung stark einschränken und Reisen, z. B. mit dem Boot, riskanter oder zeitaufwendiger machen.

3D-Bild eines rückschreitenden „thaw slumps“ (verfügbar unter: https://www.grida.no/resources/16305).

Wie wird das Alltagsleben der Arktisbewohner in Bezug auf ihre Mobilität, Ernährungssicherheit oder die Belastung durch Krankheiten und Schadstoffe beeinflusst?

Das Auftauen des Permafrostes birgt nicht nur verschiedene Risiken für die arktische Umwelt, z. B. durch die Freisetzung von Treibhausgasen, sondern hat auch weitreichende Auswirkungen auf die Lebensgrundlage von etwa drei Millionen Arktisbewohner*innen, die auf gefrorenen Böden leben. Das Verständnis dieser Risiken ist entscheidend für eine fachkundige politische Planung und Anpassungsmaßnahmen. In einer umfassenden Risikoanalyse wurden fünf miteinander verbundene Hauptauswirkungen ermittelt: (i) Ausfall der Infrastruktur, (ii) Unterbrechung der Mobilität und der Versorgungswege, (iii) mögliche Verschlechterung der Wasserqualität, (iv) Herausforderungen für die Ernährungssicherheit und (v) erhöhtes Risiko durch Infektionskrankheiten und Schadstoffe. Die Infrastruktur ist besonders in Küstengebieten, entlang von Flüssen, in Deltas und in Bergregionen gefährdet. Wie ein Studienteilnehmer berichtete: „Ich habe ein Lager am Fluss. In diesem Sommer brach ein großes Stück Land neben meiner Hütte ab und stürzte in den Fluss. Als wir zurückkamen, war die Hütte weg. Das ist beängstigend!“ Manche Erosionen verlaufen langsam, aber in Deltagebieten können über Nacht bis zu hundert Meter Land wegbrechen. In Kanada wirkt sich die Erosion auch auf die Ernährungssicherheit aus, da Jagd- und Fischerhütten immer schwerer zu erreichen sind, der Boden sich in Treibsand verwandelt und Erdrutsche vermieden werden müssen. In Longyearbyen auf Spitzbergen bedroht das Auftauen des Permafrostbodens den Zugang zu sauberem Trinkwasser, da der Staudamm der Hauptwasserquelle, Isdammen, auf gefrorenem Boden steht. Dies gibt Anlass zu großer Sorge um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen. Für die Gesundheit und die Ökosysteme werden Schadstoffe aus alten Öl- und Gasgruben, die durch auftauende Böden freigesetzt werden, zu einem Problem. In der Vergangenheit ging die Industrie von dauerhaft gefrorenen Böden aus und hinterließ Altlasten im Boden – eine Annahme, die sich nun ändert.

Das große Bild – Hauptrisiken durch das Auftauen des arktischen Permafrosts. (verfügbar unter: https://gridarendal-website).

Sind die Alpen vom Auftauen des Permafrostes betroffen?

Auch in den Alpen kann das Verschwinden des Permafrosts je nach geologischen Bedingungen zu vermehrten Erdrutschen und Steinschlägen an Stellen führen, an denen dies vorher nicht möglich war. Felsstürze stellen eine Gefahr für Bergwanderer und auf Permafrost gebaute Infrastrukturen wie Hütten, Skilifte und Lawinenverbauungen dar.

Modellierte Permafrostbedeckung in den Alpen (verfügbar unter: https://www.grida.no/resources/16355).

Für weitere Informationen, die Ansicht aller Grafiken, das Herunterladen des Atlas oder die Bestellung eines physischen Exemplars besuchen Sie die Website: https://www.grida.no/publications/998

Medieninformation

Verfasst von Helena Bergstedt, Susanna Gartler, Victoria Martin, Olga Povoroznyuk, Peter Schweitzer, Rodrigue Tanguy, Barbara Widhalm.
Layout und Satz durch das APRI-Medien Team.
Kontakt: Nützen Sie unser Kontaktformular.
Titelbild: Rückschreitender „Thaw slump“ (verfügbar unter: https://www.grida.no/resources/16305).

Über die wissenschaftlichen Autor*innen

Dr Helena Bergstedt: Wissenschaftlerin bei b.geos
Mag. Susanna Gartler: Wissenschafterin im ILLUQ Projekt
MSc Victoria Martin: PhD Studentin an der Universität Wien, Wissenschaftlerin im Nunataryuk  Projekt
Dr Olga Povoroznyuk: PostDoc an der Universität Wien
Dr Peter Schweitzer: Professor an der Universität Wien
MSc Rodrigue Tanguy: Wissenschaftler bei b.geos, PhD Student an der Technischen Universität Wien
Dr Barbara Widhalm: Wissenschaftlerin bei b.geos