Ein niederschlagsreicher Winter (2018) in Kombination mit starker Lawinenaktivität kompensiert die aktuellen Massenverluste des Gletschers und sorgt für eine positive Bilanz 2013-2021
Die überdurchschnittlich starke Erwärmung der Arktis führt gegenwärtig zu starken Massenverlusten der arktischen Gletscher, vor allem weil die sommerliche Schmelzperiode immer länger andauert. Die wärmere Luft transportiert allerdings auch mehr Feuchtigkeit in den hohen Norden, was lokal zu einer Niederschlagszunahme und somit zu einem Massenzuwachs der Gletscher führen kann. Aus Satellitendaten ist bekannt, daß dieser Effekt vor allem an der Ostküste Grönlands im letzten Jahrzehnt die Massenverluste zum Teil kompensiert hat. Obwohl Grönlands Gletscher im allgemeinen und besonders in geringen Höhenlagen stark an Masse verloren haben, haben sie in größeren Höhenlagen teilweise an Masse dazugewonnen. Am relativ kleinen Freya Gletscher in Nordost-Grönland haben überdurchschnittliche Winterniederschläge 2018 und die damit verbundene Lawinentätigkeit die Massenverluste übertroffen und zu einer leicht positiven Massenbilanz 2013-2021 geführt.
Freya Gletscher Monitoring, Drohnenflug über den Gletscher. (© Bernhard Hynek)
Lage des Freya Gletschers (74.38°N, 20.82°E) auf Clavering Island in Nordost-Grönland. (GoogleMaps)
“Im Februar 2018 erhielt der Gletscher 1.5 Meter Neuschnee innerhalb von 5 Tagen! Das führte zu mehreren teils großen Lawinen, die Schnee bis zu einer Dicke von 15 Metern auf dem Gletscher ablagerten!“
Bernhard Hynek
Das Messprogramm am Freya Gletscher
Die Landeisbedeckung von Grönland besteht aus dem riesigen Grönländischen Eisschild, einem bis zu 3 km dicken kontinentalen Eispanzer, und den mehr als 20.000 vergleichsweise kleinen, sogenannten „peripheren“ Gletschern in den Küstengebirgen. Obwohl die peripheren Gletscher nur einen Anteil von 4% an der eisbedeckten Fläche Grönlands haben, ist ihr Anteil am gegenwärtigen Beitrag Grönlands zum Meeresspiegelanstieg vergleichsweise hoch, nämlich 11%, da kleinere Gletscher schneller auf Klimaänderungen reagieren. Aufgrund ihrer Abgelegenheit werden derzeit jedoch nur 6 von diesen ~20.000 Gletschern durch direkte Messprogramme laufend beobachtet, zwei davon in unmittelbarer Nähe der Forschungsstation Zackenberg in Nordost-Grönland, dem größten Nationalpark der Welt. Die Messprogramme am Freya Gletscher, einem 5 km² großen küstennahen Gebirgsgletscher und der wesentlich größeren A.P. Olsen Eiskappe (300 km²) wurden im Rahmen des letzten Internationalen Polarjahres 2007/08 ins Leben gerufen. Das Monitoring wird in Kooperation von dänischen und österreichischen Glaziologen durchgeführt und umfaßt Punktmessungen von Ablation bzw. Akkumulation, Fließgeschwindigkeit und Volumenänderungen. Außerdem werden auf den Gletschern mehrere automatische Wetterstationen und automatische Kameras betrieben, die Daten in Echtzeit übertragen.
Foto des Gletschers im August 2008. (© Bernhard Hynek)
Die jährliche Massenänderung wird nur an einigen Punkten (an Ablationsstangen bzw. in einem Schneeprofil) gemessen und dann mit einem Modell auf den Gesamtgletscher hochgerechnet. Die Ergebnisse dieser Hochrechnung sollten ca. alle 5-10 Jahre durch eine tatsächlich gemessene Volumenänderung des Gesamtgletschers kalibriert werden, um zu vermeiden, daß sich systematische Abweichungen einschleichen. Am Freya Gletscher fanden diese geodätischen Vermessungen in den Sommern 2013 und 2021 statt.
Der Winter 2018
Das Langzeit-Monitoring am Freya Gletscher – eine Kooperation von Geosphere Austria, Universität Graz und dem geologischen Dienst Dänemarks (GEUS) – zielt darauf ab, den Zusammenhang von Klimaänderungen und Gletscheränderungen in Nordost-Grönland besser zu erfassen und die Massenbilanz der dabei beteiligten Prozesse zu quantifizieren. Der Masseneintrag von Lawinen ist dabei nicht ausschließlich vom Klima abhängig, sondern auch von der lokalen Topographie. Daß Lawinen zur Massenbilanz am Freya Gletscher positiv beitragen, wurde schon vermutet, allerdings war es bisher nicht möglich, die Größenordnung zu quantifizieren. Im April 2018 ist es gelungen, den Masseneintrag eines außergewöhnlichen Lawinenereignisses im vorangegangen Februar mittels Georadar zu erfassen. Mitte Februar 2018 fiel am Freya Gletscher binnen 5 Tagen mehr als 1.5 Meter Neuschnee, das ist mehr als in manchen Wintern. In der Folge gingen mehrere teils sehr große Lawinen von den Seitenhängen auf den Gletscher ab. Die Lawinen bedeckten mehr als ein Drittel der Fläche des Gletschers und führten lokal zu Schneehöhen von über 15 Meter! Mit an einem Schneemobil befestigten Georadar konnte die Schneehöhenverteilung im April 2018 relativ genau erfaßt werden. Im Mittel lag 4.8 Meter Schnee auf dem Gletscher (das sind 3 Meter mehr als im langjährigen Mittel), wobei der Beitrag der Lawinen in etwa 0.8 Meter ausmacht, also fast 20% der gesamten Winterbilanz.
Positive Massenbilanz 2013 - 2021
Aus den geodätischen Vermessungen 2013 und 2021 wurde eine mittlere Höhenänderung von 0.7 Metern Wassersäule errechnet, der Gletscher hat als im Mittel 9 cm pro Jahr an Höhe gewonnen. Wie an den räumlichen Verteilung der Höhenänderungen zu sehen ist, hat der außergewöhnliche Winterniederschlag von 2018 und vor allem die darauffolgenden Lawinen wesentlich zu dieser positiven Massenbilanz beigetragen. Der Lawinenschnee von 2018 ist 2021 noch an vielen Stellen an der Gletscheroberfläche sichtbar, einzelne Reste sogar noch im Sommer 2024. Obwohl derzeit fast alle Gletscher in Grönland stark an Masse verlieren, kann die gegenwärtige Erwärmung durch eine Zunahme des Winterniederschlages (vor allem an der Ostküste Grönlands) an manchen Gletschern auch zu kurzfristigen Massenzuwächsen führen.
Links die Schneehöhenverteilung am Gletscher im April 2018, gemessen mit einem Georadar, das von einem Schneemobil gezogen wurde. Rechts die Höhenänderungen 2013 – 2021 und die Abschmelzbeträge an der Ablationsstangen. In beiden Grafiken sind die von Lawinen betroffenen Gebiete am Gletscher gekennzeichnet. Die außergewöhnlichen Schneehöhen (bis zu 15 m) im Bereich der Lawinendepositionen spiegeln sich auch in den Höhenänderungen 2013 – 2021 wieder.
Zeitreihe der Winter- und Jahresmassenbilanz des Gletschers. Die gemessenen Volumenänderung 2013 – 2021 (b geod.) legen jedoch nahe, daß die bisherigen direkten Messungen an den Stangen einen systematischen Abweichung von ca. 20 cm pro Jahr aufweisen, die mit der genauen Messung nun kalibriert werden kann. Abweichungen in dieser Größenordnung sind nicht unüblich, da die Massenbilanz jährlich nur an sehr wenigen Punkten gemessen wird und dann viele Annahmen zum Beispiel über die räumliche Verteilung der Massenbilanz und das Wiedergefrieren von Schmelzwasser getroffen werden müssen.
Medieninformationen
Verfasst von Bernhard Hynek.
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Fotos: ©Bernhard Hynek und Daniel Binder
Über den wissenschaftlichen Autor
Bernhard Hynek (Mag), Glaziologe an der Geosphere Austria.
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Originale Paper
Hynek, B., Binder, D., Citterio, M., Larsen, S. H., Abermann, J., Verhoeven, G., Ludewig, E., and Schöner, W.: Accumulation by avalanches as a significant contributor to the mass balance of a peripheral glacier of Greenland, The Cryosphere, 18, 5481–5494, https://doi.org/10.5194/tc-18-5481-2024
Hynek, B., Weyss, G., Binder, D., Schöner, W., Abermann, J., and Citterio, M.: Mass balance of Freya Glacier, Greenland since 2007/2008, , https://doi.org/10.1594/PANGAEA.831035
Hynek, B., Binder, D., Verhoeven, G., and Schöner, W.: Digital elevation model and orthophoto of Freya Glacier 2013 [dataset], https://doi.org/10.1594/PANGAEA.972889
Hynek, B., Binder, D., and Larsen, S. H.: Digital elevation model and orthophoto of Freya Glacier 2021 [dataset], https://doi.org/10.1594/PANGAEA.972888
Larsen, S. H., Binder, D., Rutishauser, A., Hynek, B., Fausto, R. S., and Citterio, M.: Climate and ablation observations from automatic ablation and weather stations at A. P. Olsen Ice Cap transect, northeast Greenland, for May 2008 through May 2022, Earth Syst. Sci. Data, 16, 4103–4118, https://doi.org/10.5194/essd-16-4103-2024