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Monitoring des Freya-Gletschers in Nordostgrönland

Jemand klopfte an die Tür. Ich schaute auf und Bernhard Hynek, einer der Glaziologen der ZAMG, betrat mein Büro. Es war Januar 2011, ich arbeitete neben meinem Bachelor-Studium als studentische Hilfskraft an der ZAMG. „Willst du diesen Sommer nach Grönland fahren?“. Ich antwortete sofort mit einem freudigen „JA!“. Das war der Beginn eines unglaublichen Kapitels in meinem Leben.

„Situationen wie diese sind einmalige Gelegenheiten, bei der sich die Tür des Lebens ein wenig weiter öffnet als sonst.“

Gernot Resch

Jeden Sommer seit 2007 packen ForscherInnen der ZAMG ihre Koffer, um zu Freya zu fahren, einem Gletscher von der Größe der österreichischen Pasterze auf der Insel Clavering. Er liegt auf 74° Nord in der abgelegenen Landschaft des größten Nationalparks der Erde, Nordostgrönland. Dieses Jahr konnten Gernot Weyss und ich vier Wochen in diesem Wunderland verbringen um für das „Project Refreeze“ zu forschen, das auch Daten für meine Bachelor- und Masterarbeit liefern sollte. Die meiste Zeit wollten wir auf der Insel zelten, aber auch einige Tage in der etwa 10 km entfernten ökologischen Forschungsstation Zackenberg verbringen. Der Plan war, eine automatische Wetterstation aufzustellen und Eis- und Schneetemperatursensoren zu installieren. Auf Basis dieser Daten wollte ich mit einem Schneedeckenmodell meine Simulationen berechnen.

Standort der Forschungsstation Zackenberg (Google Maps).

Aufeis: Zwischen Firn und Gletschereis

Während des kurzen arktischen Sommers haben die Gletscher ziemlich hohe Ablationsraten: Wir haben im August 2011 bis zu 8 cm pro Tag beobachtet.  Aber nicht alles Schmelzwasser fließt ins Meer: Arktische Gletscher sind so kalt, dass im Frühsommer, wenn der Schnee zu schmelzen beginnt und das Schmelzwasser durch die Schneedecke sickert, es wieder gefrieren kann und ein spezielles Eis bildet, das sogenannte „Aufeis“ oder „Superimposed Ice“. Dabei handelt es sich um eine Schicht aus blasigem Eis, das mit vielen Luftblasen gefüllt ist und sich zwischen dem Schnee und der Gletscheroberfläche befindet. Auf manchen Gletschern ist es ein wichtiger Faktor für die Massenbilanz, wo bis zu 60 % des Schmelzwassers wieder gefrieren. Auf anderen Gletschern wiederum entstehen jedes Jahr nur geringe Mengen an Aufeis. Bei der Berechnung der Massenbilanz eines arktischen Gletschers ist das eine große Unsicherheit, deshalb wollten wir mehr über die Situation auf Freya erfahren.

Das Wachstum von Aufeis wird durch die thermischen Eigenschaften des Gletschers gesteuert und hängt von der Menge des verfügbaren Schmelzwassers ab. Aufeis entsteht während des Sommers, solange die darunterliegende Schicht unter dem Gefrierpunkt bleibt. Arktische Gletscher sind oft wesentlich kälter als die in den europäischen Alpen. Während der Zeit die wir dort verbrachten, fanden wir Gletscherspalten die mit langsam wieder gefrierendem Schmelzwasser gefüllt waren und kleine Höhlen in steileren Bereichen, mit Stalaktiten und Stalagmiten.

Im Jahr 2011 wandelten wir auf alten Spuren: Bereits 1939 begann der schwedische Glaziologe Hans Wilhelmsson Ahlmann dort zu forschen (Ahlmann 1941, Ahlmann & Erickson 1942). Doch aufgrund der weltumspannenden Ereignisse des 2. Weltkriegs musste er seine Bemühungen einstellen. Sein Forschungsassistent blieb ein Jahr lang in Grönland und erlebte ein wahres Abenteuer bis er nach Europa zurückkehren konnte. Danach war Freya fast 70 Jahre lang sich selbst überlassen, bis Glaziologen der ZAMG im Jahr 2007 wieder ihren Fuß auf das Eis setzten.

Kochen im Eis auf dem Freya-Gletscher (Gernot Weyss).

Auf einem fernen Planeten

Zackenberg war so, wie ich mir eine Basis auf einem anderen Planeten vorstellte: Isoliert und abgelegen. Sehr abgelegen. Im Winter ist sie geschlossen, im Sommer wohnen dort zwischen 10 und 20 Personen. Das Stationspersonal besteht aus zwei Personen: Der Logistiker, der sich um alles kümmert, von der Waffenausbildung bis zur Reparatur der Wasserpumpen, und ein Koch. Alle anderen sind WissenschaftlerInnen (oder versuchen, wie in meinem Fall, einer zu werden). Die Nachbarn sind eine kleine dänische militärische Spezialeinheit namens „Sirius Patrol“, 30 km entfernt. Niemand sonst für hunderte von Kilometern in alle Richtungen. Manchmal kam einer der Soldaten auf eine schnelle Tasse Kaffee vorbei, während ihrer 70 km langen Trainingsläufe, die die 1600 m des „Mount Zackenberg“ beinhalteten. Die tierischen Nachbarn, meist Moschusochsen, Lemminge und Polarfüchse, wollten meist ihre Ruhe. Einzige die unvermeidlichen Stechmücken freuten sich sehr über unseren Besuch. Eines Tages ließ ein Rabe ein Willkommensgeschenk für uns fallen, das Bein eines Kaninchens. Oder wollte er vielleicht, dass wir gehen? Wir fragten ihn, aber er krächzte nur und flog davon.

„In Zackenberg fühlte sich alles abgelegen an. Die einzige Verbindung zur Außenwelt waren E-Mails: kurz und ohne Bilder, per USB-Stick an den Logistiker übergeben, der sie per Satellit verschickte.“

Gernot Resch

Neu eingehende E-Mails wurden jeden Morgen ausgedruckt und an ein schwarzes Brett im Küchengebäude gepinnt. Da es weit im Norden liegt, geht die Sonne im Sommer nie unter. Wegen der geographischen Lage gibt es kaum Regen, weswegen die Region auch „Arktische Riviera“ genannt wird. Es gibt keine Straßen oder Autos, die Station ist von großen grünen Feuchtgebieten umgeben und liegt direkt an einem Fluss. Jeden Mittwoch kam ein kleines Flugzeug mit einer frischen Lieferung von Früchten und WissenschaftlerInnen aus aller Welt an. Als wir dort waren, trafen wir Leute aus Kanada, Finnland, Schweden, Dänemark, Spanien, Russland und Südkorea. Ich habe mich sofort in diesen Ort verliebt.

Eines Tages hatten wir die sehr seltene Gelegenheit, eine ernsthafte Begegnung zwischen einem Moschusochsenbullen und einem Eisbären zu beobachten. Ein alter Bulle ging zwischen den Häusern vorbei, direkt auf den hölzernen Eisbären zu, der für Zielübungen benutzt wurde. Er ging langsam direkt auf ihn zu, blieb minutenlang ohne Bewegung stehen und starrte weiter. Nach einigen Minuten schien er seine Entscheidung getroffen zu haben: Er machte einen schnellen Schritt nach vorne, schlug unseren armen Eisbären nieder und lief stolz weiter in Richtung Ufer.

Machen Sie einen Rundgang durch die Forschungsstation Zackenberg (Google Street View).

Auf Wiedersehen Zackenberg, auf Wiedersehen Zivilisation!

Für die Zeit auf der Clavering-Insel stopften wir unsere Taschen mit wichtigen Dingen wie Schokolade oder Travellunch-Jägergulasch voll. Aber auch viele Instrumente fanden ihren Weg in die Taschen, Ausrüstung zum Aufbau einer abgesetzten Wetterstation direkt auf Freyas Eis. Mit den so gesammelten Daten wollten wir mit einem Schneedeckenmodell die Entstehung von Aufeis auf dem Freya Gletscher simulieren. Mit der Nachmittagsflut überquerten wir den Fjord auf einem kleinen Boot und winkten den beiden Dänen, die uns hinüber schifften, ein „Goodbye Zackenberg!“ zu. Dann waren wir noch einsamer als zuvor und fanden uns in einem riesigen Tal wieder, das von Bergen mit deutschen Namen wie „Moltke“ und „Eiger“ umrahmt wurde. Nur begleitet von zwei Moschusochsen, plätscherndem Wasser und dem immer wehenden Wind begannen wir auszupacken.

Fürs Erste ließen wir das meiste von dem schweren Equipment in Kisten am Ufer und machten uns auf den Weg ins Landesinnere, um den üblichen Zeltplatz des österreichischen Teams zu finden, die hier schon einmal gezeltet hatten, auf halbem Weg zwischen der Küste und den älteren Moränen von Freya. Der Platz war wirklich schön: Moosig und flach, neben einer Quelle mit einem tollen Blick auf das weite, verzweigte Flussbett. Wir gingen mehrmals zwischen Küste und Lager hin und her um die wichtigsten Sachen zu holen und warfen danach unseren Benzinkocher an, um eine warme Mahlzeit zuzubereiten. Die „Küche“ war etwa 50 Meter von unserem Zelt entfernt. Dieser Abstand war notwendig, da Eisbären möglicherweise dem interessanten Geruch folgten und hoffentlich die Küche interessanter als uns finden würden. Wir genossen die Stille und lauschten den Geräuschen des ständig wehenden Windes, dem Zischen des Gaskochers und dem Plätschern des kleinen Baches.

Der Plan war, zunächst sechs Tage bei Freya zu bleiben, dann für eine Woche zurück nach Zackenberg zu fahren und wieder hierher zurückzukehren. Aber wir packten trotzdem Lebensmittel für 10 Tage ein, für den Fall, dass etwas schief geht. Während der Expeditionen der letzten Jahre gab es oft schwere Stürme, weswegen das kleine Boot den Fjord tagelang nicht überqueren konnte. Mit den zusätzlichen Lebensmitteln wollten wir sicherstellen, in so einem Fall nicht hungern zu müssen.

Auf dem Weg zu Freya (Musik ist Eigentum der Valve Software, Komponist: Kelly Bailey. Bilder: Gernot Weyss, Gernot Resch).

Medieninformation

Verfasst von Gernot Resch
Redaktion und Layout vom APRI-Medienteam
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Fotos: Wenn nicht anders angegeben: © Gernot Weyss

Über den wissenschaftlichen Autor

Gernot Resch, Universität Graz, Österreich
Zugriff auf die Master thesis