Heutzutage wird der Begriff „Mikroplastik“ fast inflationär verwendet. Es gibt buchstäblich kein Entkommen vor den Berichten in den Medien: Wir werden nahezu täglich mit der Tatsache konfrontiert, dass unsere Ozeane unter massiven Mengen an Plastikmüll leiden, was durch besorgniserregende Bilder von Plastikinseln und Meerestieren, die sich in Fischernetzen verfangen haben, verdeutlicht wird. Aber haben Sie sich jemals gefragt, wo diese Schadstoffe letztendlich landen? Sind die Polarregionen noch immer diese sinnbildlich unberührten Umgebungen? Leider sind sie das nicht.
Über die Plastikverschmutzung in terrestrischen alpinen und polaren Umgebungen ist nur sehr wenig bekannt. Warum ist das so? Liegt es an den logistischen Herausforderungen, die mit der Durchführung solcher Forschungsarbeiten verbunden sind? Oder ist es einfach die Vorstellung, dass die Kryosphäre aufgrund der immensen Entfernung zu menschlichen Siedlungen frei von anthropogenen Spuren bleiben sollte? Alles, was von uns Menschen freigesetzt wird, gelangt in den globalen Kreislauf der atmosphärischen oder terrestrischen Verteilung und wird daher auch in den entlegensten Gebieten zu finden sein, was deutliche ökologische Konsequenzen nach sich zieht. Für dieses geografische Gebiet besteht eine deutliche Wissenslücke, die geschlossen werden soll.
„Was die Menschheit produziert – ob gut oder schlecht – wird letztendlich zu uns zurückkehren. Und wir müssen mit den Konsequenzen umgehen.“
Plastik: Fluch oder Segen?
Vielleicht beides – wenn man den raketenhaften Aufstieg von Plastik im täglichen Leben betrachtet. Plötzlich wurden Materialien leichter, unzerbrechlich, weicher, farbenfroher, UV-beständiger und günstiger – theoretisch alles wünschenswerte Eigenschaften. Wer würde das nicht wollen? Seit den 1950er Jahren ist die Plastikproduktion exponentiell angestiegen, und mehr als die Hälfte aller jemals produzierten Kunststoffe wurde seit dem Jahr 2000 hergestellt. Doch so einfach es auch ist: Was hineinkommt, muss auch wieder heraus. Folglich zersetzen sich Kunststoffe, die in die Umwelt gelangen, allmählich zu Mikroplastik (< 5 mm) und Nanoplastik (< 1 mm) aufgrund der harschen Umweltbedingungen. Diese winzigen Partikel verbreiten sich leicht, gelangen in den Wasserkreislauf und werden sogar durch die Luft transportiert, sodass sie schließlich die entlegensten Gebiete erreichen. Einmal in einen lebenden Organismus aufgenommen, können sie chronische Infektionen und Atemprobleme auslösen oder sogar Antibiotikaresistenzen bei Mikroben hervorrufen. Mikroplastikpartikel können sogar die Blut-Hirn-Schranke überwinden und somit potenziell irreversible Schäden verursachen.
Unsichtbar, aber allgegenwärtig: Warum es uns kümmern sollte
In den letzten zwei Jahren haben wir Forschungsreisen in die Alpen, die Arktis (Svalbard) und die Antarktis unternommen, um die Verschmutzung durch Mikroplastik zu untersuchen. Dabei ist es extrem schwierig, komplett plastikfrei zu arbeiten, um keine Proben zu verunreinigen. Denkt man nur an Outdoor-Funktionskleidung – diese besteht meistens aus Kunststoffen. Deshalb tragen wir bei unserer Arbeit Baumwolloveralls, meiden Plastikgeräte und führen die Filtration nicht im Zelt durch (denn Zelte sind große Quellen für „Plastikschnee“). Stattdessen ducken wir uns hinter Felsen, um uns vor starkem Wind zu schützen, während wir geschmolzenen Schnee, Eis und Wasser auf Metallfiltern sammeln, die wir später auswerten.
Der erste Eindruck ist alarmierend: Wir haben Mikroplastik sogar an den entlegensten Orten gefunden. Die Antarktis bleibt dabei noch weitgehend unerforscht, und die dort gesammelten Proben müssen erst im Detail ausgewertet werden. So viel ist jetzt schon sicher: Die Verunreinigungen stammen entweder aus lokalen Quellen oder werden über weite Strecken, etwa durch die Atmosphäre, transportiert. In den folgenden Laboruntersuchungen wird sich zeigen, ob – wie häufig vermutet – Reifenabrieb die Hauptquelle dafür ist.
Wir alle rühmen uns unserer „unberührten“ und klaren Gewässer. Doch es ist erschreckend zu hören, wie viel Plastik in einem Liter Quellwasser enthalten sein kann – und das zeigt, dass wir alle Teil des globalen Plastikkreislaufs sind.
In Polarregionen sind Wissenschaftler eine nicht zu vernachlässigende Plastikquelle
Wir neigen dazu, schnell andere für die Verschmutzung in unberührten und empfindlichen Gebieten verantwortlich zu machen. Besonders dann, wenn wir Touristen beobachten, die von Kreuzfahrtschiffen strömen und vielleicht ein mangelndes Umweltbewusstsein oder unzureichende Einweisungen haben. Doch unsere Ergebnisse aus Polarregionen zeigen oft, dass Wissenschaftler selbst eine bedeutende Quelle der lokalen Plastikverschmutzung sind. Das bringt uns in eine paradoxe Situation: Wir sind dort, um das Problem aufzudecken, tragen aber gleichzeitig selbst dazu bei. Wir müssen uns dessen bewusst sein, um das allgemeine Bewusstsein dafür zu schärfen, dass alles, was wir in unserer industrialisierten Welt freisetzen, letztlich zu uns zurückkehren wird. Je mehr wir darüber sprechen und die Öffentlichkeit sowie die jüngere Generation einbeziehen, desto besser stehen die Chancen, die Plastikverschmutzung in unserer Umwelt zu reduzieren. Eines ist bereits sicher: Plastik in der Umwelt landet letztlich wieder vor unserer Haustür (und auf unseren Tellern).
Media information
Verfasst von Birgit Sattler und Klemens Weisleitner.
Layout und Satz durch das APRI-Medien Team.
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Titelbild: © Klemens Weisleitner.
About the scientific authors
Die Autoren Birgit Sattler und Klemens Weisleitner während ihrer Feldarbeit am Lake Untersee, Antarktis (Foto: www.whiteframe-photo.com).
Mag. Dr., Priv.-Doz. Birgit Sattler arbeitet am Institut für Ökologie der Universität Innsbruck und ist stellvertretende Direktorin des Österreichischen Polarforschungsinstituts.
CV Birgit Sattler
Klemens Weisleitner ist Polarökologe und professioneller Fotograf. Er ist derzeit am Österreichischen Polarforschungsinstitut beschäftigt.