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Der Klimawandel ist in Longyearbyen, Spitzbergen, ein wichtiges Thema. Während sich die Naturwissenschaftler*innen einig sind, dass die Inselgruppe durch den sich beschleunigenden Klimawandel stark beeinträchtigt wird, gibt es auf lokaler Ebene mehrere und unterschiedliche Erzählungen über Klimawandel und Anpassung.

Ziel dieser Forschung ist es, verschiedene Erzählungen über den Klimawandel und die Anpassung an den Klimawandel in der ‚Frontline-Community‘ von Longyearbyen zu untersuchen.
Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die Wahrnehmung der Diskurse über dieses Phänomen durch die Menschen zu verstehen. In unserer Studie untersuchen wir, wie der vorherrschende Diskurs über den Klimawandel auf lokaler Ebene aufgenommen, abgelehnt und reproduziert wird, und vergleichen ihn mit anderen, weniger bedeutenden Erzählungen mit dem Ziel, sie in kritische Aushandlungen zu bringen.

Longyearbyen, Spitzbergen (A. Meyer)

Klimawandel-Diskurs in der Anthropologie

Der Klimawandel hat materielle und kulturelle Dimensionen: Er ist sowohl ein physisches Phänomen als auch ein (wissenschaftliches) Narrativ, ein Diskurs oder eine Idee, die konstruiert, imaginiert und angewendet wird. Letzteres lenkt die Aufmerksamkeit darauf, wie der wirkmächtige Diskurs über den Klimawandel lokal rezipiert wird, ein Ansatz, der in der Anthropologie als “ Rezeptionsforschung“ (Rudiak-Gould 2011) bezeichnet wurde. Fallstudien aus der ganzen Welt zeigen, dass die Menschen vor Ort die Idee des Klimawandels und die damit verbundenen Diskurse auf unterschiedliche Weise bewerten und ihnen einen Sinn geben, der von Akzeptanz und Glauben bis hin zu Ungläubigkeit, Ignoranz und Ablehnung reicht. Spitzbergen wird oft als ein Hotspot des Klimawandels dargestellt. Der vorherrschende Klimadiskurs, der sowohl lokal produziert, als auch auf den Ort projiziert wird, stellt Svalbard entweder als Opfer des Klimawandels oder als Vorzeigeobjekt für technologische Lösungen und den Übergang von einer Kohlebergbaugesellschaft zu einer grünen Zukunft dar. Unsere Ethnografie zeigt jedoch, dass die Geschichte nicht schwarz-weiß ist.

“Der Klimawandel hat sowohl physische als auch diskursive Dimensionen, und als Anthropologin ist es wichtig zu untersuchen, wie die Menschen den Klimawandel interpretieren und darüber sprechen.”

– Alexandra Meyer

Narrative über Klimawandel in Longyearbyen

Wir untersuchten Narrative über zwei ‚Hauptprotagonisten‘ des Klimawandels in Longyearbyen – Lawinen und Gletscher – und verglichen die vorherrschenden Erzählungen mit anderen, weniger wichtigen Geschichten. Der vorherrschende Diskurs über den Klimawandel und die Anpassung an den Klimawandel, wie er in den Erzählungen über Schneelawinen zum Ausdruck kommt, dreht sich um Risiken und die Notwendigkeit, die Sicherheit durch physische Anpassungen wiederherzustellen. Während die von uns gefundenen Gegengeschichten das Lawinenrisiko und die Notwendigkeit von Sicherheitsmaßnahmen nicht bestreiten, weisen sie darauf hin, wie diese Maßnahmen zu einer verstärkten staatlichen Kontrolle über die Wohnsituation in Longyearbyen führen und als Teil einer größeren Anstrengung zur Reduzierung der internationalen Präsenz in Longyearbyen interpretiert werden können. Das Beispiel zeigt, wie Anpassungsmaßnahmen mit der Ausübung staatlicher Macht verbunden sind, wie etwa die Wiedererlangung staatlicher Kontrolle über die Wohnsituation und die Frage, wer wo wohnt, eine Politik, die den nicht-norwegischen Teil der Bevölkerung verwundbar macht. Der vorherrschende Diskurs über die Gletscher Spitzbergens ist eine Geschichte des Klimawandels, die durch den Gletscherrückgang veranschaulicht wird und die Inselgruppe als einen Hotspot des Klimawandels ausweist. Die Gegendarstellungen, die wir in Longyearbyen gefunden haben, leugnen nicht den Gletscherrückgang oder den Klimawandel, sondern sind irritierend angesichts des sensationslüsternen und oft vereinfachenden Tons dieser dominanten Klimaopfergeschichte. Sie bringen die weithin geteilte Meinung zum Ausdruck, dass der Klimawandel-„Hype“ um Svalbard dazu neigt, ein Bild des Archipels zu zeichnen, das weit von den gelebten Erfahrungen der Menschen entfernt ist, die neben dem Klimawandel auch durch andere Veränderungen und Prozesse geprägt sind.

Longyearbyen, Spitzbergen (A. Meyer)

Der Umgang mit einem irreführenden Diskurs über den Klimawandel

Unsere Ethnographie zeigt die Komplexität und Mehrdimensionalität der Erzählungen über den Klimawandel in Longyearbyen. Indem sie auf übermäßige Vereinfachung, Sensationalismus und die (irreführende) Verwendung des Klimadiskurses für andere Zwecke hinweisen, stellen die von uns gefundenen Gegendarstellungen eine Anfechtung und Kritik des vorherrschenden Klimawandeldiskurses dar, was letztlich zu Skepsis und einer Ablehnung des Diskurses insgesamt führen kann. Wenn den vom Klimawandel betroffenen Gemeinschaften nicht die Möglichkeit gegeben wird, ihre Meinung zu diesem Thema zu äußern, werden sie oft vereinfacht als Opfer dargestellt. Wir glauben, dass es für das Verständnis und letztlich für eine faire und transparente Klimapolitik in der Arktis und darüber hinaus von entscheidender Bedeutung ist, den Stimmen und Erzählungen der Menschen vor Ort aufmerksam zuzuhören und ein komplexeres Bild der Auswirkungen und Wahrnehmungen des Klimawandels zu zeichnen.

Medieninformation

Geschrieben von Alexandra Meyer und Zdenka Sokolíčková.
Layout durch das APRI-Medienteam.
Kontakt: Nutze unser Kontaktformular.

Die wissenschaftlichen Autorinnen

Alexandra Meyer ist Postdoc in der Forschungsgruppe Schweitzer. Zdenka Sokolíčková ist Postdoc am Arctic Centre in den Niederlanden.

Originalpublikation

Meyer, Alexandra; Sokolíčková, Zdenka (2024): ‘Melting Worlds’ and ‘Climate Myths’: Diverging Stories of Climate Change in Longyearbyen, an Arctic ‘Frontline Community’. In Ethnos, pp. 1–18. DOI: 10.1080/00141844.2024.2329690

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