APRI-Wissenschaftler der Forschungsgruppe CC-MoRe (Climate Change in Mountain Regions) an der Universität Graz untersuchten den Zeitpunkt des saisonalen Aufbrechens der Eisdecke von Seen in Grönland und stellten eine starke Abhängigkeit von der Höhe fest. Die Temperaturen der Extremjahre 2018 und 2019 spiegeln sich in den Beobachtungen zum Zeitpunkt des Eisaufbruchs der Seen wider. Ein früheres Aufbrechen der Seen in Grönland hat Auswirkungen auf deren Energiebilanz durch die Sonneneinstrahlung und beeinflusst die Ökosysteme von Seen und Fjorden.
Die APRI-Wissenschaftler Christoph Posch, Jakob Abermann und Tiago Silva von der Universität Graz haben auf der Grundlage von Satellitendaten den Zeitpunkt des jährlichen Aufbrechens der Eisdecke von Seen in Grönland zwischen 2017 und 2021 ermittelt. Mithilfe eines automatisierten Erkennungsalgorithmus und Klimadaten konnten sie den Zeitpunkt des Aufbrechens der Seen bestimmen, ihre zeitliche und räumliche Variabilität beschreiben und ihre Auswirkungen auf die Energiebilanz aufgrund des Verschwindens der Eisdecke diskutieren.
„Im Vergleich zu früheren und anderen Studien in der Arktis sehen wir in Grönland eine vergleichsweise hohe Variabilität im Aufbruchszeitpunkt. Die hohen Temperaturen im Jahr 2019 führten dazu, dass die Seen mehr als zwei Wochen früher aufbrachen.“

Ein See in Westgrönland während des Aufbrechens der saisonalen Eisdecke (Foto: J. Abermann).
Erkennung und Einflussfaktoren für den Zeitpunkt des Eisaufbruchs
Das Aufbrechen der Eisdecke eines Sees, d. h. der Übergang von einer gefrorenen Oberfläche zu offenem Wasser, kann anhand von Radardaten der europäischen Satellitenmission Sentinel-1 erkannt werden. Bei einer automatischen Erfassung von etwa 500 Seen in Süd- und Westgrönland zeigte sich, dass der Zeitpunkt des Aufbrechens stark von der Höhe abhängt und im untersuchten Zeitraum im Vergleich zum Durchschnitt 8 Tage früher als auch 8 Tage später sein kann. „Der Zeitpunkt des Aufbrechens von Seen ist etwa 3 Tage später pro 100 m Höhenzunahme, was durch die mikroklimatischen Bedingungen von Steilküsten und Fjordsystemen erklärt werden kann“, sagt Christoph Posch, der Hauptautor der Studie.

Median der Aufbruchszeitpunkte in’DOY’/Tag des Jahres (a) sowie die Aufbruchszeitpunkte in den Jahren 2018 (b) und 2019 (c) entlang der südlichen (S), südwestlichen (SW) und nordwestlichen (NW) Küste von Grönland. Seen, die näher an den Fjorden und damit in niedrigeren Höhenlagen liegen (oranger Pfeil), brechen im Durchschnitt früher auf als Seen in höheren Lagen (blauer Pfeil). Die relativ späten bzw. frühen Aufbrechzeitpunkte in den Jahren 2018 und 2019 spiegeln die besonders niedrigen bzw. hohen Lufttemperaturen in diesen Jahren wider. Durchschnittlicher Aufbruchzeitpunkt 2018: 08.06. (DOY 159), durchschnittlicher Aufbruchzeitpunkt 2019: 10.07. (DOY 191). (Posch et al., 2024)
Bedeutung der Eisbedeckung von Seen
Die rund 155.000 Seen außerhalb des grönländischen Eisschildes bedecken etwa 3 % der nicht vergletscherten Fläche Grönlands, was etwa der 1,4-fachen Größe Österreichs entspricht. Der Zeitpunkt der Eisschmelze auf den Seen ist nicht nur ein Indikator für die vorherrschenden Lufttemperaturen, sondern hat auch einen wesentlichen Einfluss darauf, wie viel Sonnenstrahlung den Seen als Energie zugeführt wird. Eine eis- und damit oft auch schneebedeckte Seeoberfläche kann bis zu 90 % der einfallenden Sonnenstrahlung reflektieren, während eine offene Wasseroberfläche typischerweise nur bis zu 20 % der Sonnenstrahlung reflektiert.

Das Aufbrechen und Gefrieren eines Sees in Südwestgrönland im Jahre 2019 in Copernicus Sentinel-2-Bildern. (C. Posch)
Auswirkungen und Folgen der zeitlichen Variabilität der Eisschmelze
Der zusätzliche Energieeintrag aufgrund eines früheren Verschwindens der Eisdecke hat erhebliche Auswirkungen auf die Energiebilanz von Seen. Ein hypothetischer 8 Tage früherer Aufbruch der Seen, der der beobachteten Variabilität entspricht, würde zu einem zusätzlichen Energieeintrag führen, welcher theoretisch die Temperatur eines Wasservolumens um 1 °C erhöhen könnte, welches einer Wassertiefe von rund 35 m an jedem See entsprechen würde. Zum Vergleich: Dieser zusätzliche Energieeintrag, der für alle Seen entlang der gesamten Süd- und Westküste Grönlands summiert wird, entspricht in etwa dem Schmelzen eines Eiswürfels mit einer Seitenlänge von 7,4 km. „Ein früheres Aufbrechen oder eine höhere Variabilität wirkt sich nicht nur auf das Ökosystem der Seen durch Veränderungen im Temperaturregime und Sauerstoffgehalt aus, sondern hat auch Auswirkungen auf den Süßwassereintrag in die Fjorde und deren Ökosysteme“, sagt Jakob Abermann, Assistenzprofessor und Klimaforscher am Grazer Geographie Institut. „In Anbetracht der Klimaszenarien und unserer Ergebnisse erwarten wir eine zunehmend frühere jährliche Schmelze des Eises auf Seen in Grönland und damit unzureichend beschriebene Rückkopplungsmechanismen.“
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Written by Christoph Posch.
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Photos: © Jakob Abermann.
About the scientific authors
Christoph Posch is a Master Student in the Working Group Abermann.
Paper
Posch, C., Abermann, J., and Silva, T.: Lake ice break-up in Greenland: timing and spatiotemporal variability, The Cryosphere, 18, 2035–2059, 2024, https://doi.org/10.5194/tc-18-2035-2024