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Ein wesentlicher Player in der Klimadiskussion: Neue Erkenntnisse mittels spezieller Fernerkundungssysteme

„Seen und Feuchtgebiete im Permafrost des arktischen Raumes spielen eine wesentliche Rolle im Kohlenstoffzyklus“ erklärt Georg Pointner, Forscher bei b.geos – einem österreichischen KMU – und Doktorand am Doktoratskolleg „DK GIScience“ des Departments für Geoinformatik der Universität Salzburg. „Insbesondere die durch Auftauen des Permafrostes vermehrt austretenden Treibhausgase, wie z.B. Methan, sind zur Erfassung und Modellierung der Geschehnisse essenziell.“ ergänzt Annett Bartsch, Geschäftsführerin von b.geos. Beide sind Mitglieder des österreichischen Polarforschungsinstituts APRI. Daten zeigen, dass die globale Konzentration von Methan in der Atmosphäre bis 1998 signifikant anstieg, dann über mehrere Jahre stagnierte, um dann wieder rapide anzusteigen. Der Grund dafür ist bislang unklar.

Yamals Tundra ist vom Permafrost geprägt.

Methan als Abbauprodukt von Mikroorganismen

Methan wird von Mikroorganismen bei dem Abbau organischer Substanzen, wie pflanzlichen und tierischen Überresten, produziert. Im Permafrost in den arktischen Regionen ist dieses organische Material über tausende von Jahren im wahrsten Sinn des Wortes eingefroren. Das derzeit vermehrte Auftauen des Permafrosts erlaubt nun den Mikroorganismen aktiv zu werden und unter Abgabe von Methan, aber auch Kohlendioxid und anderen flüchtigen Substanzen, die organischen Substanzen abzubauen. Des Weiteren kann bereits in anderen Erdzeitaltern gebildetes Methan, welches unter und innerhalb der Permafrostschicht gespeichert ist, das gesamte Jahr über entweichen. Die Ausgasung von Methan ist dementsprechend ein wichtiger Indikator für das Auftauen des Permafrosts und hat globale Auswirkungen. Insbesondere in der untersuchten Region Yamal, einer Halbinsel in Westsibirien, können die immer extremer werdenden Gasemissionen schwerwiegende Probleme für die einheimische Bevölkerung verursachen. Die Yamal-Nenzen, die Yamal bevölkern, sind nomadisierende Rentierzüchter, die insbesondere die Zeit der gefrorenen Wasserläufe und Seen für Transport und Reisetätigkeit verwenden. Wegen großer Gasemissionen aus dem Seeschlamm und auftauendem Permafrost findet man zunehmend große Flächen dünnerer Eisschichten oder Löcher im Eis, die ein gefahrloses Begehen und Befahren der Seen schwierig machen. Die Gefahren reichen sogar bis zu Gasexplosionen, die große Krater hinterlassen können.

Landkarte von Sibirien mit der Lage des untersuchten Sees auf Yamal (© b.geos)

Der arktische Norden Russlands ist ein schwer zugängliches, unendlich großes Areal, weshalb alternative Methoden zur bodennahen Messung der Methangasemissionen erforderlich sind, um entsprechende Gefahrenbeurteilungen und Modellierungen vornehmen zu können. Gemeinsam mit Kollegen aus Russland und Frankreich haben Georg Pointner und Annett Bartsch mittels georäumlicher Analysen und innovativer Kombinationen von Satellitendatenquellen neue Erkenntnisse zum Phänomen der Methanausgasung von Seen im Winter gewonnen, dokumentiert und analysiert.

 

Formen der Methanausgasungen

Grundsätzlich gibt es zwei Haupttypen von Methanausgasungen durch Seesedimente: oberflächliche Methanaustritte und sogenannte Subcap-Methanaustritte. „Erstere entstehen durch Methan, das ohne Speicherung über geologische Zeiträume in den oberen Schichten der Sedimente kontinuierlich gebildet und freigesetzt wird“, erläutert Georg Pointner. Die Subcap-Austritte sind im Gegensatz dazu starke Emissionen aus geologischen Reservoirs, die sich tiefer im oder unter dem Permafrost befinden, und zuvor durch die Kryosphärenkappe am Austreten gehindert wurden. Mögliche Ursprünge von Subcap-Methan sind mikrobielle, thermogene oder gemischt mikrobiell-thermogene Prozesse innerhalb von Sedimentbecken, einschließlich konventioneller Erdgaslagerstätten, Kohleflöze, vergrabenes organisches Material in Verbindung mit Gletscherabfolgen und möglicherweise Methanhydrate. Die Methanflussraten von Subcap-Seeps sind signifikant höher als die von oberflächlichen Quellen, und die Flächen der offenen Löcher im See-Eis sind für Subcap-Seeps wesentlich größer (bis zu 300 m2). Forscher identifizierten mittlerweile über 150.000 Löcher im Eis von Seen in Alaska und Grönland, die sie mit Subcap-Methanaustritten in Regionen von starkem Permafrost-Tau oder starkem Gletscherrückgang assoziierten. Methan-Emissionen durch Sedimente arktischer Seen spielen hier eine bedeutsame Rolle, deren Beitrag zur Konzentration in der Atmosphäre ist aber noch nicht gänzlich verstanden.

Forscher identifizierten mittlerweile über 150.000 Löcher im Eis von Seen in Alaska und Grönland, die sie mit Subcap-Methanaustritten in Regionen von starkem Permafrost-Tau oder starkem Gletscherrückgang assoziierten.

Zeitraffer von Indizien für Methanausgasungen in Radarbildern Jänner bis April 2015 - 2019

2015
2016
2017
2018
2019

Weltraumgestützte SAR-Datenanalyse

Die neuen, in der Publikation vorgestellten Untersuchungen und Beobachtungen nutzten die Daten von weltraumgestütztem „synthetic aperture radar“ (SAR) – ein spezielles Radarsystem, um großflächige Untersuchungen zu ermöglichen. SAR erwies sich als sehr nützlich, um Anomalien im See-Eis und der darüberliegenden Schneedecke aufzuspüren. In den SAR-Bildern zeigt schwimmendes See-Eis normalerweise eine hohe Rückstreuung, da eine starke Reflexion des Radarsignals an der rauen Eis-Wasser-Grenzfläche von schwimmendem See-Eis stattfindet. Der Grund ist der Unterschied der dielektrischen Konstante zwischen Eis und flüssigem Wasser. Die ForscherInnen bedienten sich Daten der beiden europäischen Satelliten Sentinel-1A und Sentinel-1B, die mit einem identischen SAR-Sensor ausgestattet sind. So wurden Regionen mit anomal niedriger Rückstreuung in den SAR-Bildern des schwimmenden See-Eises des Neyto-Sees in Zentral-Yamal als Zonen potenzieller Subcap-Methangasemissionen aus den Seesedimenten identifiziert. „In der Studie“, so Georg Pointner, „bewerten wir die Natur der SAR-Rückstreuungsanomalien gemessen von Sentinel-1 zusammen mit sehr hochauflösenden (very high resolution – VHR) optischen WorldView-2-Bildern. Damit präsentieren wir Methoden zur automatischen Identifikation von Löchern im See-Eis aus den VHR-Daten und untersuchen ihre räumlichen Beziehungen zu den Anomalien in den SAR-Bildern.“

Stark durchfeuchtete Seeoberfläche über Methanaustrittsstelle. © Yury Dvornikov

Synthetic Aperture Radar (SAR) gehört zur Klasse der abbildenden Radare und wird als Sensor zur Fernerkundung verwendet. Es liefert eine hoch aufgelöste, zweidimensionale Darstellung eines Geländeausschnitts durch Abtastung der Erdoberfläche mittels elektromagnetischer Wellen.

Pointner führt weiter aus, dass die generierten Ergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der kartierten Löcher (71 %) in den VHR-Daten eindeutig mit Anomalien in SAR-Bildern, die ein paar Tage zuvor aufgenommen wurden, korrelieren. Erstaunlich ist auch die Tatsache, dass sich ebenso Ähnlichkeiten mit SAR-Bildern, die mehr als einen Monat zuvor aufgenommen wurden, deutlich zeigen. Dies unterstützt die Hypothese, dass die beobachteten Anomalien mit den Gasemissionen zusammenhängen. Weiters zeigt sich eine signifikante Ausdehnung der Rückstreuanomalieregionen im Frühjahr in allen analysierten Jahren von 2015 bis 2019. Während die Löcher im Eis vorwiegend nur einige Quadratmeter groß sind, können die Anomalien während ihrer maximalen Ausdehnung kurz vor Beginn der Schneeschmelze die halbe Seefläche (ca. 100 km²) bedecken. Von den AutorInnen wird vermutet, dass die Rückstreuanomalien durch Absinken des See-Eises und die daraus resultierende Flutung der Eisdecke durch die Löcher entstehen. Dies führt zu einer Durchfeuchtung des Schnees um die Löcher herum und verringert die Radar-Rückstreuung. Das steht im Einklang mit Daten aus anderen Satellitenbeobachtungen. Die Erkenntnis der umfassenden Arbeit ist, dass SAR-Daten von höchster Bedeutung für die Lokalisierung weiterer Austrittsstellen in arktischen Seen und eventuell hilfreich zur Quantifizierung ihres Beitrags zum Methangehalt der Atmosphäre sein könnten.

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