“Ich denke, wir müssen auch darüber nachdenken, für wen Longyearbyen gedacht ist. Soll es schön für Touristen sein? Praktisch für die Industrie oder lebenswert für die Menschen, die hier leben?”
“Es gibt keine Oberschicht und keine Unterschicht, aber sie
teilen die Menschen anhand der Wohnsituation in Gruppen ein.”
“Die Stadt ist sehr gemütlich, und es ist wirklich einfach, mit den Leuten auszukommen. Es ist eine sehr internationale Gemeinschaft, so dass alle sehr aufgeschlossen sind und offen dafür, neue Leute kennenzulernen, und es ist einfach, sich zu integrieren und eine Existenz aufzubauen.”
“Ich glaube, viele Menschen leben hier, weil sie nicht in einer großen Stadt leben wollen. Sie wollen im Freien sein. Wir sollten das anerkennen und mehr Begegnungsräume im Freien schaffen.”
“Wir sollten ein Vorzeigebeispiel für die Welt sein, wenn es um Umwelt und Energieverbrauch geht. Von einer Bergbaugemeinde, die nur Kohle nutzte und CO2 produzierte, bis hin zu einem winzig kleinen Dorf, das überhaupt keine Umweltverschmutzung verursacht.”
Hast du dich schon einmal gefragt, wie es ist, in der nördlichsten Stadt der Welt zu leben, und wie die dort lebenden Menschen diesen Ort wahrnehmen und nutzen? Die obigen Zitate stammen von Bewohnern von Longyearbyen, Spitzbergen. Longyearbyen ist eine kleine (ca. 2300 Einwohner), aber auch eine sehr vielfältige und internationale Stadt auf 78 Grad Nord, die derzeit klimatische und sozioökonomische Veränderungen erlebt, da ihre Wirtschaft vom Kohlebergbau auf Tourismus, Forschung und Bildung umgestellt wird. Als die Welt im Frühjahr 2020 stillstand, hatte ich das Glück, im (damals) Corona-freien Longyearbyen zu wohnen und an einem Projekt über die Nutzung und Wahrnehmung der Stadt durch die Menschen und ihre Träume für die zukünftige Entwicklung des Ortes teilzunehmen. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit zwischen dem örtlichen Architekturbüro in Longyearbyen, LPO arkitekter, und der Svalbard Social Science Initiative, einem Netzwerk für Sozialwissenschaftler, die sich mit allen Fragen rund um Svalbard beschäftigen. Durch meine Feldforschung für meine Doktorarbeit in Sozialanthropologie über den Klimawandel in Longyearbyen lernte ich Ingvild und Lilli von LPO arkitekter kennen und begann die Zusammenarbeit mit meinen sozialwissenschaftlichen Kolleginnen Dina und Zdenka in Longyearbyen.
Longyearbyen (©Google).
Die Architekten hatten Mittel für ein Projekt erhalten, das untersuchen sollte, wie Gebäude und Materialien auf Spitzbergen, wo alle Baumaterialien vom Festland importiert werden müssen, verlagert und wiederverwendet werden können, während gleichzeitig eine ganze Bergbausiedlung abgerissen wird und die Überreste als Abfall von der Inselgruppe entfernt werden. Ein zentraler Bestandteil dieses Projekts war eine Bedarfsanalyse, um herauszufinden, was die Einwohner von Longyearbyen an öffentlichen Räumen entwickeln wollen. Sie fragten uns Sozialwissenschaftlerinnen, ob wir einen Beitrag dazu leisten wollten. Ausgehend von einem gemeinsamen Interesse an der materiellen und sozialen Struktur und Entwicklung von Longyearbyen entstand das Projekt „Folk om Longyearbyen“, „Menschen über Longyearbyen“.
Folk om Longyearbyen (©Illustration von LPO arkitekter).
Datenerhebung durch Fokusgruppen und Kartenarbeit
Zwischen März und Juni 2020 führten wir neun Fokusgruppen mit verschiedenen Untergruppen in der Stadt durch, darunter Eltern, Svalbard-„Veteranen“ (Langzeitbewohner, die in einer Stadt mit einer jährlichen Fluktuationsrate von 25 % eher selten anzutreffen sind), Menschen, die im Dienstleistungssektor arbeiten, Gemeindearbeiter, Fremdenführer, Studenten, technische Arbeiter, Schüler der örtlichen Volkshochschule und eine offene Gruppe. Fokusgruppen sind eine gängige Methode zur Erhebung qualitativer Daten; es handelt sich um fokussierte Gruppendiskussionen, die in diesem Fall von einem Architekten/einer Architektin und einem Sozialwissenschaftler/einer Sozialwissenschaftlerin moderiert und aufgezeichnet wurden. Wir baten die Gruppen die Stadt zu beschreiben und wie sie ihre öffentlichen Räume nutzen, was ihrer Meinung nach fehlt und was sie sich wünschen und wie sie sich die Zukunft von Longyearbyen vorstellen. Die TeilnehmerInnen bekamen Karten der Stadt ausgehändigt, auf denen sie sich veranschaulichen konnten, worüber sie diskutierten. Die von uns gestellten Fragen betrafen zwar die bauliche Umwelt und den (öffentlichen) Raum, aber die Diskussionen drehten sich oft um soziale Aspekte des Lebens in Longyearbyen. So erfuhren wir beispielsweise, dass die Stadt als aus verschiedenen Blasen oder Segmenten zusammengesetzt wahrgenommen wird und dass in diesem Zusammenhang öffentliche Räume für die soziale Integration entscheidend sind. Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dass die verschiedenen Gruppen ähnliche Bedürfnisse haben. Dazu gehören der Wunsch nach mehr öffentlichen Freiflächen und Schutzräumen in der nahen Natur sowie die Sehnsucht nach der zentralen Brücke, die früher die beiden durch den Fluss getrennten Stadtteile verband.
Veröffentlichung der Ergebnisse
Medieninformation
Verfasst von Alexandra Meyer.
Redaktion und Layout vom APRI-Medienteam
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Fotos: Wenn nicht anders angegeben: ©Alexandra Meyer
Über die wissenschaftliche Autorin
Alexandra Meyer, Universität Wien, Österreich