Zunehmende Antibiotikaresistenz, weniger wirksame Behandlungen von bakteriellen Infektionen, die eisige und abgelegene Antarktis mit ihren kälteliebenden Mikroorganismen und eine passionierte Mikrobiologin. Wie hängt das alles zusammen?
Zweifellos ist die Medizin an einem Punkt angelangt, an dem eine Antibiotikatherapie aufgrund der wachsenden Verbreitung von Antibiotikaresistenzen immer weniger wirksam ist. Dieses Gesundheitsdilemma verschärft sich zur Zeit sogar noch, weil wir nicht nur auf Bakterien treffen, die gegen ein Medikament resistent sind, sondern auch auf multiresistente Stämme, die Infektionen verursachen, die extrem schwer zu behandeln sind. Sie werden sich nun fragen, was dieses Problem mit der Antarktis zu tun hat?
Aussicht über die Whiskey Bay (James Ross Island, Foto wurde von Bibby Hill gemacht) (©Stanislava Králová).
Eine überraschend große Anzahl von Mikroorganismen
MikrobiologInnen haben in den letzten Jahrzehnten entdeckt, dass die Antarktis, obwohl sie kalt und unwirtlich ist, von einer überraschend großen Anzahl von Mikroorganismen besiedelt wird, die eine extreme Vielfalt aufweisen. Es wurde festgestellt, dass diese Mikroorganismen, ob Bakterien, Pilze, Protisten oder Algen, für alle ökologischen Prozesse der antarktischen Ökosysteme von grundlegender Bedeutung sind. Das bedeutet, dass das mikrobielle Leben in der Antarktis weitaus intensiver ist, als ursprünglich angenommen. Bei der Untersuchung der antarktischen Mikrobiome fielen schnell zwei Dinge auf. Erstens sind antarktische Mikroorganismen, die aus intakten und abgelegenen Gebieten dieses wunderschönen Kontinents stammen, antibiotikaresistent! Wie ist das ohne anthropogenen Einfluss überhaupt möglich? Die Antwort kam gleich danach: Es geht um mikrobielle Interaktionen, mikrobielle Kommunikation und Wettbewerbsfähigkeit. Wenn einige Bakterien natürliche Antibiotika produzieren, müssen andere Bakterien Resistenzmechanismen entwickeln, um sich zu schützen, sonst sterben sie schlichtweg.
Die Untersuchung der metagenomischen Daten hat gezeigt, dass viele der antarktischen Bakterien sogenannte biosynthetische Gencluster besitzen, das sind einfache Fragmente genetischer Informationen, die mit der Produktion bioaktiver Moleküle, einschließlich Antibiotika, verbunden sind. Und diese Erkenntnis ist eine gute, oder besser gesagt, eine großartige Nachricht. Obwohl die Chancen auf die Entdeckung neuer Antibiotika aus bekannten Bakterien ständig sinken, sind wir in der Antarktis auf eine ganz neue und vielfältige Quelle unbekannter, an die Kälte angepasster Bakterien gestoßen. Wir wissen, dass extreme und ungewöhnliche Umgebungen eine vielversprechende Quelle für neuartige antibiotische Verbindungen sind. Jetzt wissen wir auch, dass antarktische Bakterien genetische Informationen enthalten, die für die Produktion von antibiotischen Verbindungen verantwortlich sein könnten.
„Diese Erkenntnisse beeinflussen das wissenschaftliche Interesse und lenken es auf die Bioprospektion von Antibiotika in der antarktischen Umwelt, um herauszufinden, ob dadurch neue Naturstoffe entdeckt werden können, die wir zur Bekämpfung resistenter Bakterien einsetzen könnten.“
Stanislava Králová
An dieser Stelle kommen wir auf die eingangs erwähnte leidenschaftliche Mikrobiologin zurück. Stanislava Králová ist eine Mikrobiologin, die während ihres Doktoratsstudiums an der Masaryk-Universität in Brünn (2014-2019) mit Bakterienisolaten aus der Antarktis gearbeitet hat und beschloss, ihre Forschung noch ein wenig weiter voranzutreiben. Im Jahr 2018 schlug sie ein neues Projekt über antibiotikaproduzierende Bodenbakterien vor und wurde vom tschechischen Antarktis-Forschungsprogramm unter den Kandidaten für die Antarktisexpedition im Frühjahr 2019 ausgewählt. Dies war nicht nur eine unvergessliche Feldarbeitserfahrung unter schwierigen Bedingungen, sondern auch ein Wendepunkt in ihren Zukunftsplänen. Nachdem sie eine kleine Sammlung von Bakterien in der tschechischen Sammlung von Mikroorganismen (CCM, Brünn) angelegt hatte, beschloss sie, die Forschung ins Ausland zu verlagern und herauszufinden, ob diese Mikroben in der Lage sind, antibiotische Verbindungen zu produzieren. Sie setzte sich mit Prof. Alexander Loy, einem Mitglied des Austrian Polar Research Institute (APRI), in Verbindung und sie beschlossen, einen Projektvorschlag für ein Marie-Curie Sklodowska Action (MSCA) Postdoktorandenstipendium einzureichen.
Das Forschungsprojekt
Stanislava hat es bereits bei ihrer ersten Einreichung geschafft, ein MSCA-Stipendium für ihr Projekt mit dem Titel „Etablierung definierter Gemeinschaften antarktischer Bodenbakterien als potenzielle Quellen für antimikrobielle Substanzen“ zu erhalten, das in der Abteilung für mikrobielle Ökologie (Universität Wien) im Team von Prof. Loy angesiedelt sein wird. Worum geht es bei diesem Projekt eigentlich? Es ist eine Kombination aus drei Teilschritten, die hoffentlich zur Entdeckung neuer bioaktiver Verbindungen führen werden. Zunächst wird sie die Genome jener antarktischen Bodenbakterien untersuchen und charakterisieren, die Biosynthesegene für die Produktion antimikrobieller Verbindungen tragen. In der nächsten Phase wird sie versuchen, mikrobielle Konsortien, d. h. mikrobielle Mini-Gemeinschaften, zu bilden, damit die Mikroorganismen miteinander interagieren, miteinander konkurrieren und infolgedessen Gene aktivieren können, die sie für diese Interaktionen benötigen. Dieser Schritt ist von entscheidender Bedeutung, da sich Bakterien in der Regel nicht darum kümmern, ob wir ihre Stoffwechselprodukte benötigen, und unter Laborbedingungen einfach nicht jede genetische Information zum Ausdruck bringen. Das ist der Grund, warum wir oft antimikrobielle Produkte vermissen, die Mikroorganismen produzieren könnten, aber da sie es auf künstlichen Medien nicht tun müssen, um zu überleben, machen sie sich leider nicht die Mühe, es nur für uns zu tun. Wenn man Mikroorganismen zwingt, miteinander zu interagieren, zu kooperieren oder zu konkurrieren, sendet man ihnen andere Signale als bei der klassischen Kultivierung, was bedeutet, dass sie andere Gene aktivieren.
Ob einige dieser Gene antimikrobielle Wirkstoffe enthalten, möchte Stanislava in der Endphase des Projekts feststellen, indem sie bakterielle Produkte an multiresistenten Bakterien testet. Sie wird nach jenen Mikroorganismen und Konsortien suchen, die nachweislich Verbindungen produzieren, die echte, von Krankenhauspatienten isolierte multiresistenten Erreger hemmen. Wenn sie antimikrobielle Produzenten findet, wird dies die Tür für eine Folgeforschung zur Charakterisierung dieser bioaktiven Verbindungen und zur Bewertung ihrer weiteren Verwendung als antimikrobielle Arzneimittel öffnen. Eine solche Folgeforschung ist nun umso mehr möglich, als sie von der Universität Wien ein zusätzliches Jahr lang als eines der 10 hochrangigen MSCA European Fellowships an der Universität Wien finanziert wird.
Mikrobiologin in einem polaren Labor bei polaren Temperaturen (James Ross Island, The Johann Mendel Gregor Czech Antarctic Station) (©Stanislava Králová).
„Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich so viel Glück hatte, mit meinem ersten Vorschlag im MSCA-Wettbewerb eine Finanzierung zu erhalten. Der Weg von der Entdeckung neuer Arten bis hin zu einem Projekt, das zu den weltweiten Bemühungen um den Umgang mit antibiotikaresistenten Bakterien beitragen könnte, ist einfach unbeschreiblich.“
Stanislava Králová
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Fotos: ©Stanislava Králová
About the scientific author
Stanislava Králová, Universität Wien, Österreich