Zum magischen Beerenberg
Die folgende Überfahrt hatte die Insel Jan Mayen zum Ziel, wo wir den Beerenberg, den höchsten Vulkan in der Arktis, besteigen wollten, um von dort als Erste Proben zu sammeln. Nach einigen Tagen erreichten wir die Insel bei guten Verhältnissen. Nach einer kurzen Vorstellung bei dem leitenden Sergeant des norwegischen Militärs erhielten wir die Erlaubnis, an Land zu gehen. Aufgrund der COVID- Pandemie war es dem Militär nicht erlaubt, uns von der Bucht zum Fuße des Berges zu fahren, daher mussten wir die Strecke von rund 20 km zu Fuß zurücklegen. Wir hatten geplant für die gesamte Tour 24 Stunden zu benötigen und brachen am 13. Juli um 23:00 Uhr auf. Uns begleiteten Dario, Noe und Alegra, sowie die beiden älteren Kinder Salina und Andri Schwörer, die erst nach der Rückkehr von Svalbard beim Zwischenstopp in Lyngseidet an Bord gekommen waren.
Der Zustieg zum Berg dauerte mehrere Stunden und verlief ohne Probleme. Da es auf den Berg keinen Wanderweg gab, mussten wir den Aufstieg im unbekannten Gelände durchführen. Dario Schwörer ist zertifizierter Bergführer, Max ist ein sehr erfahrener Alpinist. Ich (Sebastian, Anm.) bringe weniger Erfahrung in solchem Gelände mit, habe als Notfallsanitäter jedoch Ausrüstung und Knowhow für kritische Situationen. In dieser Konstellation konnten wir gemeinsam mit den Kindern, die im Alter zwischen 10 und 16 Jahren waren, den Aufstieg beginnen. Leider bekam ich mit der Zeit sehr starke Knieschmerzen und musste am Fuß des Gletschers bekanntgeben, dass ich nicht weitergehen konnte. Wir unterbrachen dort unsere Tour, während Dario und die Kinder weiter zum Gipfel aufstiegen. Max und ich hatten besprochen, dass wir als Team unterwegs sind und zusammenbleiben werden, obwohl ich angeboten hatte alleine in einem Notbiwak zu warten. Dario zeigte nie Bedenken, mit den Kindern alleine weiterzugehen und ermutigte uns zusammen zu bleiben. Es war ein sehr beruhigendes Gefühl, dass ich nicht alleine zurückgelassen wurde.

Verlauf der TOPtoTOP Arctic Research Expedition 2020 & 2021.
Die Zeit am Fuße des Gletschers nutzten wir, um Schnee und Luftproben zu sammeln und den Blick über das Nebelmeer zu unseren Füßen schweifen zu lassen. Anschließend machten wir uns auf den langen Marsch zurück. Wir nahmen noch ein weiteres Sample und zurück am Strand konnten wir glücklicherweise mit dem Militär vereinbaren, dass ich via Jeep zu der Bucht zurückgebracht werden konnte, in der wir ankerten. Max genoss die zwölf verbleibenden Kilometer „remoteste nothingness“ und war zwei Stunden nach Sebastian (nach insgesamt 21 Stunden) zurück.
Nach etwa 27 Stunden Gesamtzeit waren schließlich alle zurück am Strand, von welchem wir gestartet waren. Da der Wellengang in der Bucht sehr stark war, mussten wir alle eine Nacht in einer Hütte des Militärs in der Bucht verbringen. Max , Salina und ich mussten noch eine weitere Nacht in der Hütte verbringen, da nach dem Übersetzen von Dario, Andri, Alegra und Noe der Seegang wieder stark zunahm und das Militär die Aktion abgebrochen hat. Am zweiten Tag schafften es dann alle, nach unfreiwilligen Tests der Survival-Suits und sehr nassem Forschungsequipment wieder auf das Schiff. Müde und entkräftet wie wir waren, mussten wir jedoch das Schiff schnell startklar machen, weil durch den starken Wellengang die Gefahr bestand, dass es auf Grund lief. Wir begannen unsere Überfahrt nach Ittoqqortoormiit in Nordost-Grönland.
Probennahme auf Islands Gletschern
Das Wetter war ruhig, die Überfahrt allerdings aufregender, da wir nun Ausschau nach großen Eisbergen halten mussten. Wir segelten zwischen Eisbergen von der Größe eines Wohnblocks hindurch und erreichten Ittoqqortoormiit bei ruhigem Wetter. Auch hier mussten wir zuerst abwarten, ob wir aufgrund der Pandemie die Erlaubnis erhielten an Land zu gehen, was wir schließlich auch durften. Nach einer Nacht im Hafen gingen wir, trotz meiner anhaltenden Knieschmerzen los, um auch hier Proben zu nehmen. Max übernahm in diesem Fall das Tragen der Ausrüstung und weitgehend die Probennahme und ich hielt Eisbärwache. Wobei man in diesem Fall eher von Moschussochsenwache sprechen muss, da uns ein solcher neugierig hinterherlief und bis auf wenige Meter an uns herantrat. Als wir daraufhin die Flucht ergriffen, schreckte der Moschussochse ebenfalls auf und stolzierte davon. Wir waren wohl ähnlich fasziniert voneinander und ähnlich uneins ob unser Gegenüber nun eine Gefahr darstellt oder nicht. Nach 11 Stunden im Feld und einer Streichelaktion der heimischen Schlittenhunde erreichten wir das Boot erst wieder kurz vor dem nächsten Sonnenaufgang.
Das nächste Ziel war Island. Wir mussten zuvor allerdings einige Tage abwarten, weil auf dem Meer ein schlimmer Sturm tobte. Wir wollten in Island, in Bolungarvík, von Bord der Pachamama gehen, weil die Gletscher, die wir untersuchen wollten, weit entfernt von unserem Anlegepunkt waren. Wir mussten von dort mit dem Bus nach Ísafjörður fahren und weiter nach Reykjavík umsteigen. Dort wollten wir ein Auto mieten. Die Art unserer Reise mit dem Segelboot, ermöglichte es leider nicht im Vorhinein eine fixe Route zu planen, weil wir immer auf das Wetter achten mussten und von diesem abhängig waren. Es war kein Leichtes einen Wagen zu erhalten, weil zu dieser Zeit bereits wieder viele Touristen in Island waren und die meisten Anbieter keine Fahrzeuge mehr für den Zeitraum, den wir benötigten zu Verfügung hatten. Da wir ins Inland fahren mussten, benötigten wir auch ein Fahrzeug mit Allradantrieb, was die Auswahl wieder beschränkte. Schließlich konnten wir jedoch einen Wagen auftreiben. Wir verbrachten noch eine Nacht im Hafen auf dem Boot, bevor wir am nächsten Morgen in den Bus nach Reykjavík stiegen.
In Reykjavík verbrachten wir drei Tage in einem Air-B&B, wo wir uns ausruhen und unsere Ausrüstung trocknen und sortieren konnten. Für die nächste Woche war das Auto unser Zuhause. Wir fuhren zum höchsten Berg Islands, dem Hvannadalshnúkur. Auf dem Weg dorthin konnten wir noch einen Stopp bei dem aktuell aktiven Vulkan, dem Fagradalsfjall, einlegen.
Wir wussten, dass wir für die Besteigung des Hvannadalshnúkur mindestens 15 Stunden (ohne unser Sampling) brauchen würden, und so starteten wir die Tour um 05:30 Uhr. Wir hatten Glück mit dem Wetter, nur ein kurzer Regenschauer überraschte uns, bevor es immer sonniger wurde. Mein Knie hatte sich seit dem Beerenberg durch fast zwei Wochen Schonung samt Schmerzmittel wieder beruhigt. Trotz der wieder aufkommenden Knieschmerzen konnten wir den Berg fast bis zum Gipfel besteigen. Zu dieser Jahreszeit ist der Gletscher jedoch sehr aper und extrem spaltenreich. So war die Wegfindung durch das riesige Spaltenlabyrinth nicht sehr offensichtlich. Dank alpiner Erfahrung gelang es uns jedoch ohne Probleme durch die Spaltenzone zu gelangen. Ein unüberwindbarer Bergschrund versperrte uns allerdings die letzten 150 hm bis zum Gipfel. Auch weitere Versuche, diesen östlich oder westlich zu umgehen blieben erfolglos. So mussten wir mit der Entnahme der Proben unterhalb des Gipfels starten. Auf dem Rückweg entschieden wir uns für eine andere Route und hatten großes Vergnügen, als wir als Highlight durch eine kleine Gletscherspalte klettern mussten, welche uns den Weg versperrte. Wie erwartet benötigten wir etwas mehr als 20 Stunden, bis wir wieder zurück beim Auto waren.
Am nächsten Tag fuhren wir fast 20 Stunden lang, mit einem Stopp am beeindruckenden Diamond Beach, der durch den Abfluss des Jökulsárlón, die Jökulsá á Breiðamerkursandi entsteht, bis wir im Inland den Fuß des Kverkfjöll erreichten. Während der Fahrt mussten wir zwei Flussfurten mit dem Auto durchqueren und fuhren durch eine sich ständig verändernde Landschaft aus Schotter, Sand und Stein. Am Fuß des Berges schliefen wir ein paar Stunden im Auto, bevor sich Max allein zum Berg aufmachte. Meine Knieschmerzen waren zu stark und ich war zu entkräftet, um erneut einen Gletscher zu besteigen. Als erfahrener Alpinist weiß Max um die Gefahren am Berg und wie er diese vermeidet, allein würde er zur Probengewinnung kein Risiko eingehen. Vor dem Start besprach er mit der Rangerin vor Ort seine Route und wir vereinbarten, dass ich einen Suchtrupp alarmieren würde, sollte Max nicht nach 14 Stunden zurück sein. Er bestieg den Kverkfjöll über den Nordgrat, um so wenig wie möglich Solo über Gletscher laufen zu müssen. Oben querte er noch nach Westen um auf dem Gipfelplateau die ersten Kryokonite der Reise samplen zu können (bisher lag überall zu viel Schnee, so dass es einfach keine aperen Blankeisflächen gab, auf denen sich Kryokonite ausbilden hätten können). Von hier hatte er eine grandiosen Ausblick nach Norden raus durch das Steam Valley, ein schwefelgelbes Tal dessen Name der geothermischen Aktivität entstammt die hier zu heißen Gasausströmungen und Dampfwolken führt. Ein fast mediterran temperiertes Hochtal inmitten des ewigen Eises. Nach Süden schweifte der Blick über das endlose Vatnajökull Gletscherhochplateau. Zu Max´ Füßen lag noch eine Lagune, ein warmer See auf 1800 m, der wieder auf die vulkanische Aktivität zurückzuführen ist und die Gletscherdecke punktuell abschmelzen und 60m hoch in einen Bergsee stürzen lässt. Alles in allem ein unvorstellbar phänomenale Szenerie. 11 Stunden später war Max wieder beim Fahrzeug. Ich hatte mich erholen und die Ausrüstung für die Abreise sortieren können. Wir verbrachten eine weitere Nacht im Fahrzeug und fuhren am nächsten Tag nach Akureyri, wo wir den Mietwagen zurückgaben und auf dem Campingplatz übernachteten. Am 4.9.2021, 8 Wochen nach unserem Start in München, traten wir schließlich unseren Heimweg an. Auf Grund der Buchungssituation flog ich zurück nach Österreich, Max entschied sich jedoch für den einen Platz der noch auf der Fähre frei war und fuhr von Island via den Färöer Inseln nach Dänemark und von dort mit dem Zug retour nach Österreich.
Die Auswahl der untersuchten Gletscher
Die zu untersuchenden Gletscher mussten wir eher spontan entscheiden, je nachdem wo wir hinsegeln konnten. Wir hatten uns dazu Kartenmaterial angeschaut und nach möglichen Gletschermündungen gesucht, an denen man auf gerader Linie von einem hohen Punkt (z.B. Gipfel oder Einsattelung) runter zum Meer in 3-5 Probeflächen die verschiedenen Höhenstufen beproben konnte. Wir hatten dabei versucht potenzielle lokale Verschmutzungsgradienten zu identifizieren. Auf Svalbard ist die Gletscheroberfläche am Longyearbreen viel verschmutzter als jene in Ny Alesund und auf dem Brokebreen im Magdalenafjord, wo es keine lokalen MP-Verursacher gibt. In Island haben wir die touristisch viel begangene Südseite des Vatnajökull mit dem Hvanndalshnukur beprobt und uns als Vergleich für den kaum begangenen Kverkfjöll auf der Nordseite als zweitem Samplespot entschieden. Das ist das gleiche Gletschermassiv, aber einmal an der Küste neben der Ringstraße und das andere Mal im Inland ohne viele Besucher.
Die Finanzierung
Die finanziellen Mittel mussten wir selbst stemmen: durch Crowdfunding, die Unterstützung der Liechtensteinischen Gesellschaft für Umweltschutz (LGU), dem Österreichischen Klima- und Energiefonds, Förderungen der Universität Innsbruck, der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung (DGP), dem Lions Club Bad Neustadt an der Saale, und durch die Unterstützung von Frozen Latitudes. Von der Sportler AG hatten wir umfangreichen Materialsupport erhalten.
Von diesen Einnahmen gibt es noch ein kleines Restbudget, das durch die nicht unbeträchtlichen Kosten für die Auswertung mittels FT-IR überschritten werden wird. Für weitere Spenden bzw. Förderungen sind wir daher dankbar.
Wie geht es weiter?
Nach der Rückkehr mussten wir einige Zeit auf die Ankunft der Proben warten. Wir mussten über eine Woche mit der Post daran arbeiten, dass sie die Proben endlich weiterschickten. Diese waren fast ein Monat lang in Wien in einer Sammelstelle aufbewahrt. Warum das notwendig war, hat sich für uns nicht klären lassen.
Nun stehen wir mitten in der Laborarbeit. Am Beginn steht die Bestandsaufnahme und die Dichteseparierung der Feststoffproben (Sediment und Faeces). Diese werden dann auch filtriert, so dass alle Proben auf Filterscheiben vorliegen. Dann folgt eine optischer Analyse unter dem Mikroskop, ob überhaupt Plastikpartikel zu finden sind.Diese müssen vom Rest getrennt werden und mittels FT-IR (Fourier-Transformations-Infrarotspektrometer) oder Raman Spektroskopie ausgewertet werden. Evtl. können auch Teile der Proben (speziell die atmosphärischen Proben weil dort die kleinsten Mikroplastikpartikel zu erwarten sind) an ein Analyselabor mit automatisierten FT-IR Maschinen geschickt werden, da diese wesentlich kleinere Partikel noch erkennen können, als wir mit bloßem Auge unter dem Mikroskop. Danach prüfen wir ob in der Luft, welche wir mittels dem Airsampler beprobt haben, undin den Tierausscheidungen, welche wir vom Polarfuchs, von Kittiwakes, einem Eisbären, Walrössern, einem Schneehuhn und Rentieren sammeln konnten, Plastikpartikel zu finden sind, und ob zu erkennen ist wie sich MP-Partikel verteilen. Weiters wollen wir sehen, ob es Zusammenhänge zwischen dem Vorkommen von bestimmten Mikroorganismen und MP gibt, da MP-Partikel durch deren Oberfläche zur Biofilmbildung beitragen. Zusätzlich soll geprüft werden, ob ein vermehrtes Auftreten von Antibiotikaresistenz erkennbar ist.
Dank dieser Förderer wurde das Projekt überhaupt möglich:
Medieninformation
Redaktion und Layout vom APRI-Medienteam.
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Fotos: @Max Kortmann und Sebastian Pohl
Über die wissenschaftlichen Autoren
Verfasst von Max Kortmann und Sebastian Pohl, Universität Innsbruck