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„Für eine Wissenschaftlerin, die in Polarregionen arbeitet, fühlt sich die COVID-Pandemie an, als würde ein Pinguin in einen tropischen Regenwald versetzt werden – eine seltsame Situation.“

Mit dieser Metapher beschreibt Dr. Birgit Sattler die derzeitige Lage. Seit die Welt von dieser außergewöhnlichen Gesundheitskrise getroffen wurde, hat sich vermehrt der Ausdruck “alles verschoben” als Zustandsbeschreibung für die Polarforschung etabliert. Was bedeutet diese Wartezeit und Unterbrechung für die Polarforschung und die ForscherInnen?

Das Austrian Polar Research Institute (APRI) fördert die Polarforschung in den Bereichen Polarökologie, Kryosphäre und Klima sowie soziale und kulturelle Systeme. Die Pandemie, die nun seit über einem Jahr unsere stetige Begleiterin ist, stellt auch die APRI-Arbeitsgruppen vor massive Herausforderungen, vor allem was die Expeditionen und Feldforschungen zur Datenerhebung betrifft.

„Die soziale Online-Kommunikation ist ein wichtiges Mittel, während wir auf eine Zeit warten, in der wir wieder Gespräche beim Kaffeetrinken führen können”, sagt Jorrit van der Schot, ein Nachwuchswissenschaftler der Schneeklimatologie, der seine KollegInnen zu Beginn nur in der virtuellen Realität kennenlernen konnte. Der Mangel an realer sozialer Interaktion ist eine der größten Herausforderungen für die WissenschaftlerInnen. Denn in informellen persönlichen Gesprächen werden wichtige Informationen ausgetauscht, gemeinsame Projekte und Publikationen entwickelt sowie genetzwerkt, was für die Sichtbarkeit innerhalb der Forschungsgemeinschaft bedeutend ist. Die ForscherInnen tauchen in eine virtuelle Welt ein und versuchen, die Wartezeit zu überbrücken, während ihre Arbeitsabläufe und Feldforschungen unterbrochen werden. Aber wie Dr. Annett Bartsch, Geschäftsführerin von b.geos, ausführt: „Wir versuchen, die Feldarbeit teilweise durch einen partizipativen, sogenannten „Citizen Science“-Ansatz zu erweitern – indem Menschen aus der Bevölkerung, die in der Arktis leben, Daten für die Wissenschaft erheben. Denn es kann nicht alles verschoben werden.“ Hier sieht man, dass die Pandemie auch methodische Innovationen hervorbringt. Die WissenschaftlerInnen versuchen Lücken in langfristigen Datenerfassungsprozessen zu vermeiden, denn „zeitkritische und wetterabhängige Messungen bei der Klimaforschung stehen bei den dynamischen Änderungen von ‚Lockdown‘-Maßnahmen und Reisebeschränkungen auf dem Spiel“, so Dr. Marion Greilinger und Mag. Stefan Reisenhofer von der ZAMG.

Momentaufnahme aus dem Home-Office Alltag

AkademikerInnen erleben Stornierungen von Projekten und Finanzierungen sowie verminderte Networking-Möglichkeiten, während sie im Home-Office sitzen. Oft nimmt die Arbeit vor dem Bildschirm deutlich mehr Zeit in Anspruch, um die Zusammenarbeit mit PartnerInnen auf der ganzen Welt aufrechtzuerhalten. Diese Stressfaktoren, die sich auf die Arbeit und das persönliche Wohlbefinden auswirken, betonen mehrere APRI-Mitglieder: “Im Laufe der Zeit kommt es zu mangelnder Konzentration und verminderter Produktivität. Das liegt an der Vielzahl von Unsicherheitsfaktoren.” Dr. Gertrude Saxinger, Anthropologin am APRI, weist auf ein zentrales Problem hin: „Die Forschungsgelder sind projektbezogen für eine bestimmte Laufzeit festgelegt und bei weitem nicht alle Fördergeber verlängern wegen der Pandemie die Finanzierung. Doch die Gehälter müssen bezahlt werden.“

„Das Beste aus der sich bietenden Situation herausholen” scheint eine gemeinsame Bemühung der Fakultätsangehörigen, PolarforscherInnen und NachwuchswissenschaftlerInnen zu sein. Susanna Gartler, Doktorandin der Anthropologie, beschreibt einen möglichen Vorteil: „Ich stellte fest, dass mehr Zeit bleibt, um mich auf einige Aspekte meiner Arbeit zu konzentrieren, wie z. B. schreiben und lesen, die in den letzten Jahren unter umfangreichen Reisen und Feldforschungen gelitten hatten.“ Während die Wartezeit andauert, wird es jedoch schwieriger, „sich auf die Arbeit zu konzentrieren, insbesondere auf größere Projekte, die zeit- und arbeitsintensiv sind. Die Unsicherheiten darüber, wann ich wieder ins Feld zurückkehren kann, bleiben bestehen.“ Dr. Gertrude Saxinger fügt hinzu: „Große Unsicherheitsfaktoren für die Datenerhebungen bleiben. Denn die Arktis ist dünn besiedelt und nur mäßig urbanisiert, daher erreichen die Impfungen die Bevölkerung nur zeitverzögert. Die medizinische Versorgung bei einer Corona-Erkrankung ist unter solchen Bedingungen eine Herausforderung. Auch daher halten sich ForscherInnen zurzeit von der Arktis und ihren BewohnerInnen fern.“ Pausierend und zugleich vorausschauend, halten die WissenschaftlerInnen an ihren optimistischen Zukunftsaussichten fest, um ihre Arbeit, Forschungsprojekte und Feldarbeit, bald wieder aufnehmen zu können.

Eisberg-Spiegelungen des Sermeq Kujalleq (Ilulissat Eisfjord, Grönland)

„Die durch COVID-19 verursachte Ruhe ist aber auch eine gute Sache für diese besonderen Oasen”, betont Dr. Birgit Sattler. Sie erklärt, dass „durch die weltweiten Reiseverbote viele gefährdete Ökosysteme die Möglichkeit haben, sich von anthropogenen Einflüssen zu erholen, was auch durch wissenschaftlich motivierte Maßnahmen mit verursacht wird.”

„Die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten, die erst durch die Pandemie zur Routine geworden sind, zeigen, dass so manche Konferenzreise nicht zwangsläufig notwendig ist, und es ist absehbar, dass der akademische CO2-Fußabdruck sich zum Besseren verändern wird.“

Dr. Gertrude Saxinger

Medieninformation

Verfasst vom APRI-Medienteam.
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Fotos, wenn nicht anders angegeben: Anna Burdenski
Header Photo: Christoph Ruhsam unter Verwendung von Virus-Bild von pngpress.com

Über die wissenschaftliche Autorin

Anna Burdenski, Universität Wien